Kundgebung von Rechtsextremen

2011: Rund 640 "erkannte" Neonazis in NRW

Rechtsextremistische Szene in NRW stark zersplittert

Stand: 16.11.2011, 06:00 Uhr

Polizei und Verfassungsschutz überprüfen rechtsextreme Gruppen und Verbindungen in NRW neu auf ihr Gewaltpotenzial. Die Terror-Zelle aus Zwickau hat gezeigt, dass sich gewaltbereite Rechtsextreme abseits klassischer Strukturen organisieren.

Von Lis Kannenberg

In NRW teilt sich die gewaltbereite rechtsextremistische Szene in mehrere Gruppen. Allein etwa 640 Personen zählt der Verfassungsschutz-Bericht 2010 landesweit zu den "erkannten Neonazis", die Zahl ist leicht gestiegen. Eine besondere Tendenz zu terroristischem Handeln sei jedoch kaum auf eine spezielle Gruppe begrenzbar. Dazu heißt es jetzt aus dem NRW-Innenministerium: "Polizei und Verfassungsschutz prüfen alle Strukturen und Verbindungen vor dem neuen Hintergrund durch die Zwickauer Terror-Zelle."

"Neue Qualität der Gewaltbereitschaft"

Bereits bei der Vorstellung der neuen Daten im März stellte Innenminister Ralf Jäger (SPD) fest: "Wir haben es mit einer neuen Qualität der Gewaltbereitschaft zu tun." Dabei bezog er sich vor allem auf Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und linken Autonomen. Im Mai 2010 wurden beispielsweise zwei Brandsätze gegen die Eingangstür des "Autonomen Zentrums" in Aachen geworfen. Die Polizei rechnet die Täter zum Umfeld der rechten "Kameradschaft Aachener Land".

Neben Aachen gelten vor allem Dortmund und der Raum Rhein-Sieg als so genannte Hot Spots mit stärkerer Gewaltbereitschaft rechter Vereinigungen und Gruppen. Seit zwei, drei Jahren registrieren Verfassungsschützer und Forscher aber auch in Wuppertal eine wachsende Szene. "Die Hot Spots können sich relativ schnell entwickeln, weil sich Aufsteiger in der Szene profilieren wollen. Dann gibt es in einem bislang unauffälligen Ort plötzlich Demos und Zeichen von Gewalt", analysiert der Düsseldorfer Experte für Neonazismus Professor Fabian Virchow.

Teilnehmer einer Neonazi-Demonstration

Teilnehmer einer Neonazi-Demonstration

Spontane Überfälle auf Andersdenkende

In der Szene wegen ihres Dress-Codes umstritten sind die sogenannten Autonomen Nationalisten, die optisch kaum noch von linken Aktivisten unterscheidbar sind: Beide Gruppen tragen schwarze Kapuzenpullis, Halstücher und Sonnenbrillen. Zum Feindbild zählen laut Verfassungsschutzbericht 2010 unter anderem der Kapitalismus, die Globalisierung und der Staat. Bei dieser Form des Rechtsextremismus, die es in NRW vor allem in Dortmund gibt, stellen Experten ein wachsendes Aggressionspotenzial gegenüber der Polizei fest. Wie viele Anhänger die "Autonomen Nationalisten" in NRW haben, ist unklar. Im Verfassungsschutzbericht heißt es lediglich: "Auffallend in diesem Phänomenbereich sind der hohe Anteil von Personen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren sowie eine hohe Fluktuation innerhalb des Personenpotenzials."

Kundgebung von Rechtsextremen in Dortmund

Dortmund ist eine der Hochburgen der rechten Szene

Die meisten der als "freie Kameradschaften" lose organisierten Gruppen lehnen die spontanen Einzelaktionen der "Autonomen Nationalisten" weitgehend ab. Die Kameradschaften betrachten sich laut Verfassungsschutzbericht selbst als einen "nationalen Widerstand" in autonom existierenden Gruppen. Sie gruppieren sich um eine Führerpersönlichkeit und sind vor allem in den 1990er Jahren nach einer ersten Verbotswelle rechter Vereinigungen entstanden. Dabei fehlt eine nach außen klar erkennbare Organisation. Stattdessen beteiligen sich die Mitglieder zum Beispiel in Dortmund oder Bielefeld an spontanen Überfällen auf Andersdenkende oder Ausländer.

Fackelzug mit weißen Masken

In Düsseldorf zeigte sich in der vergangenen Woche (08.11.2011) eine neue Form der rechten Pose, eine Art Flashmob: Mit Fackeln und weißen Masken zogen knapp 70 Menschen nachts durch den noblen Stadtteil Kaiserswerth. Bevor die Polizei eintraf, war der Spuk auch schon wieder vorbei. "Wir wussten im Vorfeld nichts von der Aktion und konnten vor Ort auch nichts mehr feststellen", sagt Polizeisprecher Andreas Czogalla. Statt auf laute Nazi-Parolen und Plakate setze die Bewegung "Die Unsterblichen" mit Wurzeln in Ostdeutschland auf einen fragwürdigen Event-Charakter.

Dabei inszeniert sich die Bewegung im Internet als "junge Deutsche", die "auf das Schandwerk der Demokraten aufmerksam" machen. Die Selbstdarstellung zieht sogar eine Parallele zur Bürgerbewegung in der DDR. Es gehe den "Unsterblichen" um Massenproteste. Um junge Menschen zum Mitmachen zu bewegen, gibt es auch klare Anleitungen, wie man einer Verfolgung durch die Polizei entgehen kann.

Starke Zersplitterung

Was die Vernetzung der Rechten in NRW mit ihren Gesinnungsgenossen bundesweit betrifft, unterscheidet der Soziologe Virchow nach Führungsrang. Hochrangige Funktionäre seien sehr gut vernetzt, auch international. Grundsätzlich gebe es aber eine starke Zersplitterung in einzelne Lager, wie sie auch das Innenministerium beobachtet. Lediglich größere Kundgebungen wie in Dortmund oder Stolberg könnten ein Gemeinschaftsgefühl der Szene schaffen. In Wuppertal wurde gerade erst eine solche Veranstaltung am Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November verboten.

Neben den offen gewaltbereiten rechten Gruppen existieren in NRW auch stärker angepasste Strömungen: Als rechtspopulistisch gilt dabei die Vereinigung "Pro Köln", die mit islamfeindlichen Parolen auf sich aufmerksam macht. Ihr landesweiter Ableger heißt "Pro NRW". Der Verfassungsschutzbericht listet zudem auch Aktivitäten der etablierten Parteien am rechten Rand wie NPD und die inzwischen aufgelöste DVU auf.

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