Der Stand der Ermittlungen

Die berechenbare Loveparade-Katastrophe

Stand: 23.07.2012, 06:00 Uhr

Wer trägt die Schuld an der tödlichen Massenpanik der Loveparade in Duisburg? Nach knapp zwei Jahren hat die Sonderkommission der Polizei ihre Ermittlungen fast abgeschlossen. Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft, ob sie die insgesamt 17 Beschuldigten anklagt.

Von Jenna Günnewig

Hunderte Stunden Videoaufzeichnungen, 254 Ordner voller Beweise, 3.386 vernommene Zeugen und Terabytes an Daten - die Loveparade ist eine gut dokumentierte Katastrophe. Zwei Jahre dauern die Ermittlungen zur strafrechtlichen Aufarbeitung nun schon an. Am Ende sollen sie helfen, darzulegen: Wer trägt die Schuld an der Massenpanik (24.07.2010), die für 21 Menschen tödlich endete?

Die Kölner Sonderkommission hat ihre Arbeit mittlerweile "weitestgehend abgeschlossen", so teilte die Staatsanwaltschaft Duisburg am Donnerstag (19.07.2012) mit. Durch die "außerordentliche Komplexität" sei aber noch immer ein ganzes Team von Staatsanwälten mit der Aufarbeitung des Geschehens befasst.

17 Beschuldigte im Visier der Behörden

30.000 Blatt umfasst mittlerweile nur die Hauptakte. Gegen 17 Personen wird wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung weiterhin ermittelt. Darunter sind elf Angestellte der Stadtverwaltung, fünf ehemalige freie Mitarbeiter des Veranstalters Lopaevent sowie der Einsatzleiter der Polizei.

Für Hunderttausende Besucher hatte es nur einen Eingang zum Partygelände gegeben - der zugleich auch als Ausgang diente. Er führte zudem über eine enge Rampe sowie durch einen Straßentunnel. Zu dem tödlichen Gedränge kam es, als zu- und wegströmende Menschen an der Rampe zum Festgelände aufeinandertrafen.

Staatsanwaltschaft: Polizei hatte kaum Funkverbindung

Innenausschuss Loveparade

Innenausschuss berät zum Loveparade-Unglück

Mehr als 4.100 Polizeibeamte waren bei der Loveparade in Duisburg im Einsatz - ihre Rolle und Einflussmöglichkeiten sollten unter anderem die Kollegen von der Essener Polizei untersuchen. Dieser "vorläufige Abschlussbericht des Essener Polizeipräsidiums" vom Oktober 2010 wurde zunächst unter Verschluss gehalten, im Juni 2011 legte Innenminister Ralf Jäger (SPD) dem Landtag den Bericht vor. Darin wird dargestellt, dass es "keine außergewöhnlichen Funkprobleme" gegeben habe. Auch über ihre Handys sollen die Polizisten durch eine "Priorisierung der von der Polizei eingesetzten SIM-Karten" keinerlei Kommunikationsschwierigkeiten gehabt haben.

Der Polizei in Essen standen jedoch nicht die Beweismittel der Staatsanwaltschaft Duisburg zur Verfügung. Anders als im Bericht der Essener Polizei stellt diese in ihrem 452 Seiten dicken Zwischenbericht erhebliche Kommunikationsprobleme fest. Insbesondere im Bereich des Tunnels sei eine Verständigung über Funk so gut wie nicht möglich gewesen. Der Bericht von Januar 2011 führt außerdem an, dass die zwingend erforderliche Lautsprecheranlage mit Vorrangschaltung für die Polizei vom Veranstalter nicht installiert wurde. Um die Auflagen zu erfüllen, hätte Lopaevent eigentlich das komplette Veranstaltungsgelände mit einer Alarmierungsanlage ausstatten müssen. Das war aber nie geschehen.

"Die Erteilung der Genehmigung erfolgte rechtswidrig"

Besucher nutzen einen Lichtmast, um dem Gedränge auf der Loveparade zu entkommen

Besucher flohen über einen Lichtmast

Weiter heißt es in dem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft Duisburg, dass der Einsatz der Ordner, die die Besucherströme lenken sollten, fehlerhaft gewesen sei. Zudem soll der leitende Polizeidirektor den Ernst der Lage nicht rechtzeitig erkannt haben. Die Stadt Duisburg habe ein mangelhaftes Sicherheitskonzept des Veranstalters unkritisch übernommen. Die Erteilung der Genehmigung sei rechtswidrig erfolgt. Ihr Hauptaugenmerk richtet die Staatsanwaltschaft deshalb auf die Stadt Duisburg als genehmigende Behörde.

Britischer Experte: Eintritt der Katastrophe war ausrechenbar

Großes Gedränge am unteren Ende der Rampe, die zum Festivalgelände der Loveparade führt.

Die Rampe diente sowohl als Einlass als auch als Ausgang

Wann die Ermittlungen zur Loveparade endgültig abgeschlossen sind, lässt sich laut Detlef Nowotsch von der Staatsanwaltschaft Duisburg schlecht vorhersagen. Man warte noch auf das abschließende Gutachten des britischen Professors Keith Still von der Bucks New University. Still forscht dort über die Sicherheit von Menschenmassen und ist auf dem Gebiet international anerkannt.

Ein kurzer Report des Wissenschaftlers vom Januar 2012 liegt WDR.de vor. Darin rechnet Still schlicht und einleuchtend das Fassungsvermögen der Anlage, und besonders der an einigen Stellen nur zehneinhalb Meter breiten Rampe, mit der Anzahl der Loveparade-Besucher gegen. Sein Urteil: Fehlplanung. Ein einfaches Rechenverfahren hätte gezeigt, dass die Fläche der Rampe den Menschenströmen zu Spitzenzeiten nicht gewachsen sein konnte. Keith Still kommt zu dem Schluss: "Failure of the system was predictable" (Übersetzung: Das Versagen des Systems war vorhersehbar).