Eine Frau mit Helm hält einen Mikrofilmstreifen in einem Lager

Stichtag

30. August 1975 - Einlagerung deutschen Kulturguts beginnt

Wie kann man Bücher, Kunstwerke, archäologische Funde, wertvolle Manuskripte und bedeutende Archivalien im Falle eines Krieges vor Zerstörung, Diebstahl oder Plünderung bewahren? Um diese Frage zu klären, setzen sich 1954 Vertreter von 56 Staaten unter Federführung der UN in Den Haag zusammen. Ergebnis ist die "Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten". Getragen ist sie vom Gedanken, "dass jede Schädigung von Kulturgut, gleichgültig welchem Volke es gehört, eine Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit bedeutet, weil jedes Volk seinen Beitrag zur Kultur der Welt leistet."

Als Regelkatalog definiert die Haager Konvention, welches Kulturgut wie zu schützen ist. Erkennungszeichen ist eine blau-weiße Raute. Die Raute in dreifacher Ausführung stellt ein Objekt unter Sonderschutz. In Deutschland darf sich nur ein Bauwerk mit drei Rauten schmücken: der so genannte Barbara-Stollen in Freiburgs Hausberg "Schauinsland". Selbst in Friedenszeiten darf er nicht vom Militär überflogen werden. Denn im Innern lagert deutsches Kulturgut.

Verwaltungsakten aus der Frühzeit der Bürokratie

Am 30. August 1975 werden die ersten Edelstahlzylinder durch den stillgelegten Silberstollen getragen und auf dafür vorgesehene Regale gewuchtet: in 200 Metern Tiefe unter den Bäumen des Schwarzwalds, in einem Gewölbe aus Granit, Gneis und Beton. Im Innern der Tonnen finden sich vor allem Verwaltungsakten aus der Frühzeit der Bürokratie im 9. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart – genauer gesagt: Abbilder der handgeschriebenen Unikate, die auf Mikrofilm mit einer hochauflösenden Schrittschaltkamera aufgenommen worden sind.

Die Originale lagern weiterhin in ganz Deutschland verstreut bei den zuständigen Behörden der Stadt- und Landesarchive, die Tag für Tag weiterfotografieren müssen. Organisiert wird die "Sicherheitsverfilmung von Archivalien" unter der Federführung des Bonner Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), eingelagert wird nach dem Prinzip des Numerus Currens, also in der Reihenfolge des Eingangs. Wer dabei den Überblick behalten und im Zweifelsfall einstmals irgendeine Ordnung rekonstruieren soll, bleibt ein Rätsel.

Karneval als Nahziel

35.000 Euro kostet der reine Betrieb des Stollens jährlich, sein Bestand ist inzwischen auf 1.500 Tonnen angewachsen. In jeder Tonne lagern 21.000 Meter Film. Eine Milliarde Bilder sind das insgesamt. Darunter finden sich Fotos der Baupläne des Kölner Doms ebenso wie ein Abbild der Ernennungsurkunde von Adolf Hitler zum Reichskanzler. Gedruckte Bücher, die sich noch in Bibliotheken finden, sind nicht dabei. Und auch der rheinische Karneval ist noch unterrepräsentiert.

Das soll sich aber in naher Zukunft ändern: Immerhin steht der rheinische Karneval seit 2015 auf der Liste der immateriellen Kulturgüter der UNESCO. "Wir möchten in den nächsten Jahren Archivmaterial dort einlagern", sagt BBK-Mitarbeiter Peter Lauwe - Dokumente über den Karneval im Nationalsozialismus inklusive.

Stand: 30.08.2015

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