Die Bleistiftzeichnung eines Gerichtszeichners zeigt die Angeklagten (l-r) Jan-Carl Raspe, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof im Gerichtssaal (Archivfoto vom 05.06.1975)

28. April 1977 - Urteil gegen Baader, Ensslin und Raspe

Die Fehde von Stammheim

Hohe Mauern, Stacheldraht, Metallzäune - das Gefängnis Stuttgart-Stammheim gleicht einer Festung. Über das Dach ist ein Perlonnetz gespannt, um eine Befreiungsaktion aus der Luft zu verhindern. Für das Verfahren gegen die RAF-Gründungsmitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe sind vielfältige Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Um riskante Gefangenentransporte zu vermeiden, wurde eigens ein fensterloser Gerichtssaal neben dem Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses gebaut. Jeder Prozessbesucher muss sich vor dem Betreten abtasten und registrieren lassen. Seit fast zwei Jahren wiederholt sich die immer gleiche Prozedur - auch am 28. April 1977, dem Tag der Urteilsverkündung.

Vier Morde, 39 Mordversuche und sechs Sprengstoff-Anschläge werden den Angeklagten zur Last gelegt. Bis zum Ende des Verfahrens bleiben viele Einzelheiten im Dunkeln. Offen bleibt beispielsweise, inwiefern die Angeklagten an den einzelnen Taten beteiligt waren. Baader räumt im Prozess lediglich ein, dass die Sprengstoffanschläge im Mai 1972 auf die US-Militärstützpunkte in Frankfurt am Main und Heidelberg von der RAF begangen wurden, weil sie zum anti-imperialistischen Kampf gehört hätten. Die Verteidiger bezeichnen die Attentate als Widerstandsaktionen gegen den Völkermord in Vietnam. Die Angeklagten stellen sich selbst als Kriegsgefangene dar, die durch ihre Isolationshaft gefoltert werden. Diese Sicht wird vom Gericht kategorisch abgelehnt.

"Nicht auf eigene Faust Krieg führen"

Das Verfahren hat sich seit Prozessbeginn am 21. Mai 1975 immer mehr zu einer rechtsstaatlichen Fehde entwickelt. Unter anderem erreicht die Verteidigung, dass der Vorsitzende Richter Theodor Prinzing wegen Befangenheit abgelöst wird. Der Gipfel der Kontroverse ist jedoch das Eingeständnis der baden-württembergischen Landesregierung, dass Gespräche zwischen den Mandanten und ihren Verteidigern illegal mit Wanzen abgehört worden sind. Nach der Aufdeckung des Abhörskandals betreten Baaders Verteidiger Hans-Heinz Heldmann und Ensslin-Anwalt Otto Schily den Gerichtssaal nicht mehr. Erfolglos fordern sie auch noch einen Tag vor dem Urteil die Einstellung des Verfahrens. Ihre Plädoyers halten sie in einem Stuttgarter Hotel. Schily spricht von "massiven Vorverurteilungen" durch die Justiz. Heldmann attestiert den Richtern "Vernichtungswille", mit dem sie die Angeklagten entmenschlicht hätten.

Am 192. Verhandlungstag geht der Stammheim-Prozess zu Ende. Die Anklagebank bleibt leer, weil die Beschuldigten durch ihren Hungerstreik verhandlungsunfähig sind. Der Sitzungssaal ist dagegen voll besetzt. Der Vorsitzende Richter Eberhard Foth verkündet um neun Uhr "im Namen des Volkes" das Urteil. Baader, Ensslin und Raspe werden in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen: "Jeder der drei Angeklagten wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt." Richter Foth weist die These zurück, es habe sich um einen politischen Prozess gehandelt: "Es kann sich nicht jedermann zum Völkerrechtssubjekt ernennen und auf eigene Faust Krieg führen." Von den ursprünglich fünf Angeklagten erleben zwei das Urteil nicht mehr: Holger Meins ist im November 1974 während eines Hungerstreiks gestorben, Ulrike Meinhof ist im Mai 1976 tot in ihrer Zelle aufgefunden worden.

Stand: 28.04.07