Mädchen sitzt vor Computer

Rückblick aus dem Jahr 2005: Ein Massenmedium entsteht

Dem Internet ins Netz gegangen

Stand: 27.04.2005, 17:07 Uhr

Spielwiese für Computerfreaks, neumodischer Schnickschnack - dieses Bild vom Internet spukte 1995 vielen Menschen im Kopf herum. Das Web schürte Hoffnungen und Ängste. Und kaum einer rechnete damit, dass es sich zum Massenmedium mausern würde.

Von Stefanie Hallberg

Deutschland erwachte 1995 langsam aber sicher aus seinem Internet-Schlaf. "Internet - was ist das?", fragten viele, als Insider ihnen begeistert von dem neuen Medium erzählten. Der Zugang dazu war damals alles andere als einfach. Computer standen längst nicht in jedem Haushalt und Büro, sie galten mehr als Schreibmaschinenersatz denn als Tor zur weiten Welt. "Keiner hat damit gerechnet, dass sich das Internet der Spezialisten in Windeseile zu einem Massenmedium für Information und Unterhaltung entwickeln würde", erinnert sich Klaus Dietrich, Leiter der Abteilung Infrastruktur im WDR. "Wir haben noch nicht mal die Screenshots der ersten Homepages verwahrt. Wer konnte denn damals ahnen, dass auch im WDR das Internet so populär wird, dass man jetzt sogar Geburtstag feiert!"

Große Hoffnungen: Demokratie und schnelles Geschäft

Die Frage stand im Raum: Was bedeutet das Web für uns, unser Leben, unsere Arbeit? Das Internet wurde zum Grenzland, das es zu erobern galt, das Ängste und Bedenken, Euphorie und Träume weckte. Träume wie den vom großen Geld, der Mitte der 90er Jahre den Neuen Markt zunächst wie zu Goldrauschzeiten boomen ließ. Träume wie die vom Internet als demokratisches Medium der Neuzeit: Schließlich hatte und hat das Internet weder Besitzer noch Aktionäre, Zensoren oder Kontrollinstanzen (anders als der Zugang zu den Informationen). "Jeder kann zu jeder Zeit an jedem Ort mit jedem Computer in Sekundenschnelle Informationen einspeisen und abrufen oder rund um Globus kommunizieren", erklärt die Kölner Sozialpsychologin Catarina Katzer. "Auf die einen wirkten die Möglichkeiten, die das Medium in sich barg, wie ein Segen, auf andere wie ein Fluch."

Angst vor Missbrauch und Gefahren

An Bedenkenträgern und warnenden Stimmen mangelte es nicht. "Horrorvisionen kursierten", sagt Hans-Jürgen Weißbach vom Institut für Sozialwissenschaftliche Technikforschung in Dortmund. "Man befürchtete, Menschen würden sich aus der Realität in eine virtuelle Welt flüchten, nur noch süchtig und auf den Bildschirm fixiert vor dem Computer sitzen." Quarks & Co. thematisierte 1995 in einer Sendung über die "Datenautobahn" auch die Verunsicherung, die das Internet und der damit verbundene "Technojargon" auslösten: Mittdreißiger fühlten sich vom Fortschritt überholt. Lehrer hätten Angst, sich vor ihren Schülern zu blamieren.

Ein Missbrauch des Internets und von ihm ausgehende Gefahren beschäftigten schon früh Politiker sowie Verfassungs- und Datenschützer - und heute immer noch. Denn unter dem Deckmantel der Freiheit und Anonymität im Netz war und ist immer noch alles möglich: Rechtextremes Gedankengut auszutauschen, Bastelanleitungen für Bomben zu finden, Pornografie, Viren und Würmer zu verbreiten oder als Hacker in fremde Rechner einzudringen. Internet-Guru Ossi Urchs: "Das Verrückte war nur, das Internet hat nicht gewartet." Auch nicht im WDR.

WDR goes Multimedia

Dort erkannte 1995 zunächst nur ein kleiner Kreis von Insidern, dass ein neues Medium aufkam, das man verteufeln oder nutzen konnte. Peter Jakobs, damals Redakteur bei ZAK: "Aus Angst, den Zug zu verpassen, haben einige wenige in Wildwestmanier den Planwagen gepackt und einfach losgelegt, während viele andere Kollegen vom Web noch nichts gehört hatten, die Beschäftigung damit als Zeitverschwendung abtaten oder starke Berührungsängste hatten." Vor allem eins trieb Pioniere wie Quarks & Co., Computerclub, Eins Live, Lindenstraße und ZAK dazu, schnell ins Netz einzusteigen: Die Hoffnung, den Zuschauer und Hörer stärker an sich zu binden, die junge Generation besser zu erreichen und Programm begleitend Informationen anbieten zu können.

Längst erobertes Grenzland

1995 hatte niemand damit gerechnet, dass sich einmal Abermillionen von Usern ins Internet stürzen würden. Zehn Jahre später ist das Web in den Alltag unzähliger Menschen integriert und für sie bereits unverzichtbar. Heute wird das Netz mehr dazu genutzt, sich zu unterhalten anstatt Informationen auszutauschen. Viele Vorbehalte und Hemmschwellen sind überwunden - und Erwartungen gedämpft worden. "Der Traum der endgültigen Demokratisierung ist nicht in Erfüllung gegangen", meint Urchs. Aber auch nicht die Horrorvision vom internetsüchtigen PC-Freak. "Der ist eher die Ausnahme", sagt Weißenbach. "Dank Laptop geht der Trend immer mehr dahin, multimedial und mobil in Kommunikation mit der ganzen Welt zu sein, ähnlich wie früher mit dem tragbaren Transistor-Radio." Das einstige Grenzland ist für viele Menschen längst erobertes Terrain: Laut ARD/ZDF-Online-Studie waren 2004 über 55 Prozent der Deutschen ab 14 Jahre im Netz aktiv.

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