Kreis Siegen-Wittgenstein

Soziale Medien als Fahndungsmittel

Feuerwehr und Polizei suchen Facebook-Fans

Stand: 14.11.2011, 00:02 Uhr

Feuerwehr und Rettungsdienst wollen die sozialen Medien nutzen - für Imagewerbung und Information. Die Polizei in NRW ist aber zurückhaltend: Noch sei die Rechtslage unklar.

Von Klaus Martin Höfer

Ein Busunfall mit 15 Verletzten war die Nagelprobe. Der Einsatzleiter entschied: Dies ist ein Fall für das neue Facebook-Angebot. Das hatte die Feuerwehr- und Rettungsleitstelle des Kreises Siegen-Wittgenstein erst wenige Tage zuvor ins Netz gestellt, um die Öffentlichkeit bereits während eines laufenden Einsatzes zu informieren. Zum Beispiel, wenn ein Bürgertelefon für besorgte Angehörige eingerichtet wird. Oder bei besonderes schweren Unwettern. Das Posting nach dem Busunfall hat aus Sicht von Thomas Jung, Chef der Siegener Kreisleitstelle, gut funktioniert: "Wir haben unsere Facebook-Fans aufgefordert, die Informationen zu teilen." Und das geschah dann auch knapp 50 Mal.

"Diesen Schneeballeffekt mit mittlerweile 2.500 Fans wollen wir uns auch bei künftigen Unfällen, Bränden und Schäden zunutze machen", sagt Sabine Buchholz von der Universität Siegen, die die Facebook-Seite im Rahmen eines Forschungsprojektes betreut. Allerdings will sich die Siegener Feuerwehr bei ihren Posts auf "wichtige und akute" Informationen beschränken und rechnet mit einem halben Dutzend Facebook-Einträgen pro Jahr.

Facebook-Warnung nicht nur bei Katastrophen

Wesentlich häufiger postet dagegen die Düsseldorfer Feuerwehr, die seit März bei Facebook vertreten ist. Die Düsseldorfer informieren auch über ihre Veranstaltungen, um mit der "Generation Facebook" eine junge Zielgruppe zu erreichen, die traditionelle Medien weniger nutzt als ihre Eltern.

NRW-Polizei hat noch Bedenken

Genau das machen sich auch einzelne Polizeidienststellen zu Nutze, zum Beispiel in Hamburg-Harburg, Bremerhaven und Hannover. In Mecklenburg-Vorpommern sind sogar sämtliche Dienststellen in dem sozialen Netzwerk vertreten. Auch die NRW-Polizei würde gerne mitmischen, schließlich sei Facebook ein tolles Fahndungsmittel, heißt es aus dem NRW-Innenministerium. Doch in NRW gibt es noch Bedenken: Bei Fahndungsaufrufen gehe es meist um Verdächtige, nicht um Angeklagte oder gar Verurteilte. "Wenn sich nachher herausstellt, dass die Person unschuldig ist, bleibt aber der Fahndungsaufruf weiterhin im Internet", sagt Alexander Priem vom NRW-Innenministerium. Falsche Verdächtigungen blieben möglicherweise so im Netz noch nach Jahren für jeden einsehbar. Das könnte ein heftiger Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen sein.

Fahndungserfolge durch Facebook

Die Polizei in Hannover sieht das anders. Auf ihren Facebook-Seite werden beinahe täglich neue Fahndungsaufrufe veröffentlicht, die leicht sechs- oder siebenhundert Mal geteilt, also per Schneeballeffekt an andere Facebook-Nutzer vervielfältigt werden. Acht Mal war die Polizei dank Facebook bereits erfolgreich. Durch Zeugen, die weder Zeitungsartikel noch Handzettel gelesen hatten, fand sie Vermisste, Gewalttäter, Einbrecher. Die Beamten sind dabei überzeugt, dass sie auf der sicheren Seite sind: Facebook sei nur eine weitere Möglichkeit der in der Strafprozessordnung erlaubten "Öffentlichkeitsfahndung", sagt Stefan Wittke, der den Facebook-Auftritt betreut. Und erweise sich ein Fahndungsverdacht als falsch, könne die Polizei ihre Facebook-Erstmeldung löschen - sämtliche geteilten Inhalte verschwänden dann ebenso.

Diskussionen müssen beobachtet werden

Doch das NRW-Innenministerium sieht auch die Kommentar-Funktion bei Facebook kritisch: Was ist, wenn eine Facebook-Diskussion außer Kontrolle gerät? Wenn zum Beispiel jemand als vermeintlicher Sexualstraftäter identifiziert wird und die User den Kriminellen selber stellen wollen? Die Kommentare müssen also dauernd beobachtet werden, um bei solchen Entgleisungen eingreifen zu können. "Sollte die Rechtslage geklärt sein, werden dafür die entsprechenden Personalstellen geschaffen", sagt der Sprecher des NRW-Innenministeriums. Und dies für alle Polizeidienststellen des Landes.

In Hannover werden nach einem halben Jahr Modellversuch derzeit auch diese juristischen Fallstricke geprüft. Allerdings ist die Polizei dort überzeugt, genügend Vorkehrungen getroffen zu haben: Ausfallende Einträge werden gelöscht, Nutzer können gesperrt werden, zudem gibt es einen "Beleidigungsfilter", der entsprechende Kommentare gar nicht erst zulässt. Fahndungen nach Sexualstraftätern stellen die Beamten nur morgens ein, um eine meist direkt nach Veröffentlichung einsetzende Diskussion besser verfolgen zu können.

Vertrauen auf "Schwarmintelligenz"

Die Siegener Feuerwehr-Leitstelle setzt hingegen mehr auf die soziale Kontrolle durch andere User. "Sie disziplinieren sich gegenseitig", hat Medienwissenschaftlerin Sabine Buchholz beobachtet. So wurde ein Kommentator innerhalb von Minuten von einem anderen zurechtgestutzt: "Das gehört hier nicht hin", war die Antwort auf die Beschwerde eines ehrenamtliches Feuerwehrmanns. Der Kritik, mit dem neuen Facebook-Service würden nur Gaffer angelockt, entgegnete eine Nutzerin: "Ich möchte als Mama gerne schnellstens informiert werden." Stefan Wittke von der Polizei Hannover bestätigt diese Erfahrungen: "Die Nutzer kontrollieren sich gegenseitig, und die meisten wollen einfach nur helfen."

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