Energiesparauto

Interview mit einem Zukunftsforscher

Die Chancen nutzen

Stand: 18.07.2006, 06:00 Uhr

Mindestens genauso spannend wie ein Rückblick auf 60 Jahre NRW-Geschichte ist die Frage nach der Zukunft. Wie leben wir in 20 oder 30 Jahren? Ein Interview mit dem Zukunftsforscher Professor Rolf Kreibich, Leiter des Sekretariats für Zukunftsforschung in Berlin und Dortmund.

WDR.de: In welchen Lebensbereichen wird es die größten Veränderungen geben?

Prof. Kreibich: Also auf jeden Fall natürlich langfristig gesehen im Umweltbereich. Es ist ganz eindeutig, dass im 21. Jahrhundert enorme weitere Schübe des Klimawandels auf uns zukommen werden. Zum Beispiel werden Stürme immer mehr zunehmen, weil es kurzfristigere Wechsel von Aufwärmungen und Abkühlungen gibt und sich sogar unter Umständen die großen Wasserströme wie der Golfstrom partiell verändern, das Abschmelzen der Polkappen stärker zunimmt, der Wasserspiegel der Meere ansteigt und so weiter. Da sind also große Veränderungen zu erwarten, die auf unser Leben einen großen Einfluss haben werden.

WDR.de: Wie werden sich Arbeits- und Berufsleben verändern?

Kreibich: Wir werden im Berufsleben eine starke Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse haben, das heißt also, viel mehr Teilzeitarbeit, Wechsel von Arbeitsverhältnissen und natürlich auch die Auflösung des starren Renteneintrittalters. Und wir werden auf jeden Fall daran arbeiten müssen, dass die Ausbildung eine lebenslange sein muss, ständiges Qualifizieren ist unsere wirtschaftliche Basis, denn wir haben in Deutschland, das gilt in besonderem Maße auch für Nordrhein-Westfalen, keine Rohstoffe.

Nordrhein-Westfalen hat zwar Kohle, aber die Kohle, das wissen alle, wird etwa dreimal so teuer gefördert wie an anderen Stellen und ist praktisch nicht wettbewerbsfähig. Wir können die Kohle nicht permanent weiter subventionieren. Aber ansonsten haben wir keine Rohstoffe und deshalb muss in die Köpfe investiert werden. Das heißt, wir brauchen hervorragend ausgebildete Leute, wobei nicht nur das Fachwissen allein entscheidend ist. Sondern wir müssen in Zukunft Menschen haben, die vernetzt denken können, über die einzelnen Disziplinen hinweg, die flexibel sind und sich auch international bewegen können. Das heißt, sie müssen soziale und kulturelle Kompetenz erwerben, Sprachen lernen wird immer wichtiger.

WDR.de: Und wie werden wir unseren Arbeitsplatz erreichen?

Kreibich: Wir sollten uns schon darauf einstellen, dass wir mit Individualfahrzeugen, also auch in Zukunft mit dem Auto fahren werden. Aber - und das ist das entscheidende - die Autos müssen in Zukunft viel kleiner, leichter, intelligenter sein, das heißt, wesentlich weniger Energie verbrauchen. Wir brauchen das 2,5- oder 3-Liter Auto - und das ist ja überhaupt keine Frage, dass das machbar ist. Und wir brauchen Autos, die überhaupt keine Abgase mehr haben. Die gesamte Fahrzeugflotte eines Herstellers sollte im Durchschnitt nicht mehr als fünf Liter verbrauchen.

WDR.de: Wie werden wir unsere Freizeit verbringen?

Kreibich: Es wird mehr fließende Übergänge geben zwischen Tätigkeiten unterschiedlichster Art. Also zwischen beruflichen Tätigkeiten, die mit Einkommen verbunden sind und einem Großteil von bürgerschaftlichem Engagement, das mit wenig oder gar keinem Einkommen verbunden ist, etwa im Sportbereich, im Sozialbereich oder im Umweltbereich. Das wird teilweise wie Freizeit angenommen werden, teilweise aber auch als Tätigkeit, die Befriedigung verschaffen kann. Hier wird es eine allmähliche Auflösung zwischen der heutigen, starren Arbeitssituation auf der einen Seite, der traditionellen Erwerbsarbeit, und der Freizeitsituation geben.

WDR.de: Werden wir anders miteinander kommunizieren?

Finger zeigt einen Mini-Mikrochip, im Hintergrund eine Katze

Mikrochips für alle Lebensbereiche

Kreibich: Ja, ich glaube, dass die technischen Kommunikationssysteme weiterhin zunehmen werden. Es wird eine ganz wesentliche Entwicklung geben, die wir "pervasive computing" nennen. Das heißt, dass Objekte, also Menschen, Tiere, Sachen, mit Mikroprozessoren versehen werden, die über Funktechnik bestimmte Daten von sich geben, und dann auf das Internet übertragen und mit Computern ausgewertet werden.

WDR.de: Was bedeutet das?

Kreibich: Das bedeutet, kleine Mikroprozessoren werden in viele Lebensbereiche eindringen, ob das in die Textilien oder in die Medizintechnik ist, wodurch man dann zum Beispiel viel bessere Diagnosen vornehmen und viel besser therapieren kann, viel feiner, am Organ selbst, weil das ja Winzlinge sind, die man kaum wahrnimmt. Zum Beispiel könnte man ganz einfach ständig den Blutdruck messen und entsprechend Medikamente verabreichen, ohne dass man das überhaupt merkt. Aber die negativen Folgen darf man auch nicht übersehen, wie etwa die Möglichkeit, dass Datenspuren von den Menschen hinterlassen werden, die dann missbraucht werden könnten. Oder aber es werden Schwermetalle verbreitet, zwar in kleinen Mengen jeweils, aber in großen Zahlen insgesamt. Das muss vorher untersucht werden und da müssen wir entsprechende Riegel vorschiebe

WDR.de: Unterm Strich - wird das Leben besser oder schlechter?

Kreibich: Ich glaube, wenn wir vernünftig handeln und uns die Risiken der wissenschaftlich technologischen Entwicklung genau ansehen, wenn wir versuchen, die wichtigsten Risiken zu vermeiden und die Chancen zu nutzen, dann könnten wir sicher in einer Welt leben, die etwas nachhaltiger ist. In einer Welt, in der die Lebensgrundlagen besser erhalten werden als bisher, die sozialer ist, die kulturell vielfältiger ist. Aber zu sagen, das wird mit Sicherheit so, ist sehr schwierig. Es liegt eben an uns, die Chancen des wissenschaflichen Wissens positiv im Sinne der Nachhaltigkeit und Verbesserung von Lebensqualität zu nutzen.

Das Interview führte Jutta Starke

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