Aloisiuskolleg in Bonn

Opfer kritisieren Angebot der Jesuiten

Wie viel Geld heilt Wunden?

Stand: 16.09.2010, 17:01 Uhr

Der Skandal um den sexuellen Missbrauch von Schülern auch an Jesuitenschulen erschüttert Deutschland noch immer. Nun wollen die Jesuiten ihre Opfer finanziell entschädigen. Am Bonner Aloisiuskolleg kann das noch dauern.

Von Nina Magoley

"Wir wissen, dass wir bluten müssen", hatte Stefan Kiechle, oberster Vertreter der Jesuiten in Deutschland, am Donnerstag (16.09.2010) in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Die Jesuiten müssten jetzt ein Zeichen setzen, damit es im Sinne der Opfer vorangehe. Im Gespräch seien bisher pauschal und einmalig 5.000 Euro für jedes Opfer. 200 ehemalige Schüler haben sich bisher beim Orden gemeldet und ausgesagt, sexuell missbraucht worden zu sein - darunter rund 50 am jesuitischen Aloisius-Kolleg in Bonn, bestätigt Kollegs-Sprecher Robert Wittbrodt. Die Berichte reichten vom "bloßen Angeschaut- und Fotografiertwerden bis zum heftigsten sexuellen Missbrauch".

Bonn: Untersuchungen dauern noch an

Eine offizielle Stellungnahme zu den Entschädigungs-Plänen will Wittbrodt allerdings noch nicht abgeben. "Wir haben davon bisher selber nur aus den Zeitung erfahren", sagt er. Zurzeit werde im Aloisius-Kolleg diskutiert: "Einige finden die Idee mit einer Pauschale richtig, andere meinen, damit werde man dem Einzelfall nicht gerecht." Dort, wo die beschuldigten Patres bereits gestanden hätten, solle man schnell entschädigen. In Bonn allerdings hat es bisher kein Geständnis eines Täters gegeben. Der von den Opfern am meisten Beschuldigte, Pater S., ist inzwischen gestorben. Eine Aufklärungskommission ist noch dabei, die Anschuldigungen und die Verantwortlichkeit der anderen Erziehungspersonen zu überprüfen. "Diese Untersuchungen müssen wir erstmal zuende bringen", sagt Sprecher Wittbrodt, mit dem Ergebnis rechne man im November.

"Opfer sollen ihre Forderungen formulieren"

Auch über die Höhe der Entschädigung will man sich am Aloisius-Kolleg noch nicht äußern. "Eine Staffelung der Beträge ist bestimmt sinnvoll", meint der Sprecher. "Manchem ist vielleicht eine Entschuldigung das Wichtigste, ein anderer erwartet die Entschädigung seiner Therapiekosten". Ordensleiter Stefan Kiechle hatte erklärt, dass das Geld für die Entschädigungen weder aus Spendentöpfen noch aus Projekten abgezogen werden sollte. Statt dessen müssten die Ordensmitglieder sich dafür in ihrem Lebensstil einschränken, "zum Verzicht bereit" sein. "Das ist ein richtiges Signal", wertet Wittbrodt, "die gesamte Gesellschaft Jesu muss sich mit dem Thema und seinen Folgen auseinandersetzen."

Druck auf die Bischöfe

"Grundsätzlich ist es gut, dass die Jesuiten sich geäußert haben", sagt Matthias Katsch, Sprecher der Opfervereinigung "Eckiger Tisch", "wir sehen das als Versuch, nun Druck auf die unwilligen Bischöfe auszuüben." Dass die katholische Kirche es offenbar nicht für nötig halte, eine klare Reaktion auf den Missbrauchsskandal zu zeigen, habe die Opferseite bisher mit Empörung verfolgt. Bisher hatte die Deutsche Bischofskonferenz nur angedeutet, dass man sich "an der Klärung von Lösungsmodellen" zur Entschädigung beteiligen wolle - allerdings ohne zeitliche Vorgaben. Mit der Höhe der Entschädigungssumme, die bisher genannt wurde, sei die Opfervereinigung allerdings keinesfalls einverstanden, stellt Katsch klar. "Wir rechnen mit Summen im mittleren bis oberen fünfstelligen Bereich", sagt er, das entspreche den Beträgen, die der Staat den Missbrauchsopfern in kirchlichen Kinderheimen zahle. Bewertet werden müsste schließlich nicht nur eine Tat, die vor Jahren geschah, sondern auch die Folgeschäden, mit denen die Betroffenen seitdem zu leben hatten.

"5.000 Euro - ein Witz"

Miguel Abrantes Ostrowski

Miguel Abrantes Ostrowski

"5.000 Euro als Entschädigung für Menschen, die lebenslänglich leiden - das ist ein Witz", findet Miguel Abrantes Ostrowski. Er war zehn Jahre lang Schüler am Bonner Aloisius-Kolleg und ist Mitglied des "Eckigen Tisches". Pater S. hatte ihn immer wieder nackt fotografiert. Seine Erfahrungen hat sich Abrantes Ostrowski in einem Roman von der Seele geschrieben. Er selber brauche keine Geld, sagt er, aber einige seiner Leidensgenossen würden auf ein verkrachtes Leben zurückschauen. Besonders wütend mache ihn die Ankündigung der Jesuiten, für die Entschädigungssumme müsse jedes einzelne Mitglied "Sühne tun". Empört rechnet er vor: 200 ehemalige Jesuitenschüler haben sich bisher als Missbrauchsopfer gemeldet, mal 5.000 Euro macht eine Million Euro Entschädigung. Bei etwa 20.000 Jesuiten weltweit ergebe das, auf ein Jahr gerechnet, rund vier Euro im Monat, die jeder Einzelne abtreten müsse. "Die Sühne kostet so viel wie ein doppelter Hamburger."

Die Deutsche Bischofskonferenz will das Entschädigungsangebot der Jesuiten bisher nicht kommentieren. Nach Angaben eines Sprechers werden die Bischöfe auf ihrer Herbstvollversammlung kommende Woche in Fulda über das Thema beraten. Für den kommenden Samstag (18.09.2010) hat der "Eckige Tisch" Vertreter des Jesuitenordens zu einem Gespräch nach Berlin eingeladen. Der Verein hat den Orden aufgefordert, hier "endlich konkrete Entschädigungszahlen zu nennen". Rektoren mehrerer Internate haben bereits zugesagt. Aus Bonn kam bisher keine Reaktion.

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