Bundesfamilienministerin Kristina Schroeder (CDU, r.), Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU, l.), Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)

Runder Tisch gegen Kindesmissbrauch

"Täter sollen für Therapie zahlen"

Stand: 23.04.2010, 02:00 Uhr

Drei Monate nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle treffen sich am Freitag (23.04.2010) Politiker, Kirchen- und Schulvertreter. WDR.de sprach mit Teilnehmer Wolfgang Feuerhelm, Professor für Sozial- und Strafrecht.

WDR.de: Herr Feuerhelm, Sie sind Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmissbrauch und - vernachlässigung. Was erwarten Sie von dem Runden Tisch zu diesem Thema?

Wolfgang Feuerhelm: Nun, ich denke, es ist an der Zeit, dass die Kinderschutzdebatte neue Impulse bekommt. Und da kommt der Runde Tisch zum richtigen Zeitpunkt. Man muss gleichwohl realistisch sein, dass das hier nur den Anfang einer Diskussion markieren kann.

WDR.de: Wöchentlich kommen neue Vorwürfe und Geständnisse ans Licht. Weshalb gerade jetzt?

Wolfgang Feuerhelm

Wolfgang Feuerhelm

Feuerhelm: Die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion war bislang nicht sehr produktiv. Eine aufgeregte Debatte, beispielsweise um das Strafrecht, nützt häufig gar nichts. Wir müssen uns vor allem überlegen, wie wir den Kinderschutz stärken können - beispielsweise durch bessere Ausstattung und eine flächendeckende Ausweitung der Opferberatungsstellen. Wenn es um Missbrauch in Institutionen geht, und das meint nicht nur katholische Schulen, hat das ja immer sofort mit Macht zu tun. Viele Schulen haben zwar einen Vertrauenslehrer, der ist hier aber nicht der richtige Ansprechpartner, weil er auch Lehrer ist und Noten gibt. Deshalb brauchen wir unabhängige Beratungsstellen. Wir müssen dabei ebenfalls diskutieren, ob die in ihrer Arbeit nicht auch speziell geschützt werden müssen, sprich ein Zeugnisverweigerungsrecht bekommen sollten.

WDR.de: Ein Zeugnisverweigerungsrecht würde einer generellen Meldepflicht von Missbrauchsfällen bei der Staatsanwaltschaft entgegen stehen, wie sie Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert.

Feuerhelm: Die Anzeigepflicht wird unser Problem nicht lösen. Im Gegenteil, sie nimmt dem Opfer die Entscheidung ab, was es mit seinem Schicksal machen will. Wir müssen die Opfer professionell beratend unterstützen und auch die Nachbarn anhalten, die Augen offenzuhalten. Es ist aber beispielsweise keineswegs so, dass die Opfer immer eine Bestrafung der Täter wünschen.

WDR.de: Sehen Sie sich am Runden Tisch in der Rolle als Sprecher der Opferorganisationen?

Feuerhelm: Auch. In unserer Organisation sind viele Opferberatungsstellen vertreten. Am Runden Tisch sitzen aber selbstverständlich auch Spezialisten. Der Weiße Ring ist zum Beispiel vertreten. Wir sind ein Dachverband, der sich eher mit Aus- und Fortbildung beschäftigt. Das Thema Kindesmissbrauch muss in der Ausbildung stärker verankert werden. Wir brauchen auch eine Fortbildung für Pädagogen, Kinderärzte - möglicherweise obligatorisch. Das muss diskutiert werden.

WDR.de: Soll die Verjährungsfrist von Missbrauchsfällen verlängert werden?

Feuerhelm: Der momentane Zustand der Verjährung zivilrechtlicher Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen von drei Jahren ist unhaltbar. Das ist etwas, das man ändern muss, um die Täter beispielsweise auch nach längerer Zeit zur Zahlung von Therapiekosten heranzuziehen. Das brauchen wir - haben wir bisher nicht.

WDR.de: Die Opfer sollen also entschädigt werden?

Feuerhelm: Das ist eine andere Geschichte. Wir haben ja heute schon ein Opferentschädigungsgesetz. Und wir haben ja nach einer Weile der Unsicherheit auch mittlerweile die Rechtssprechung, dass auch sexueller Missbrauch Gewalt ist. Die Frage ist, ob das Opferentschädigungsgesetz eine Ausweitung braucht. Das ist eine Diskussion, die ich am Runden Tisch gern führen würde. Aber das steht auch nochmals auf einem anderen Blatt, als beispielsweise die Frage, wie lange die Täter denn einen Schaden ausgleichen müssen. Denn das Opferentschädigungsgesetz kommt ja erst dann in Frage, wenn ein direkter Zugriff auf die Täter nicht möglich ist.

WDR.de: Was wäre Ihrer Meinung nach zu tun?

Feuerhelm: Zumindest müsste man mal darüber nachdenken, ob man die zivilrechtliche Verjährungsfrist der strafrechtlichen angleicht. Solange ein Täter in der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ist, ist es so geregelt, dass die Verjährungsfrist zehn Jahre beträgt, beginnend mit dem 18. Geburtstag des Opfers. Zivilrechtlich haben wir nur eine dreijährige Regelung. Das ist zu kurz, gar keine Frage. Aber die Idee, dass die zivilrechtlichen Forderungen gar nicht mehr verjähren, das würde ich auch erstmal diskutieren wollen.

WDR.de: Zur Diskussion stehen auch die Höchststrafen von Tätern. Ist unser Strafrecht zu lasch?

Feuerhelm: Das würde ich nicht sagen. Wir hatten ja auch erst vor ein paar Jahren eine Reform des Strafrahmens. Sie müssen sich Folgendes überlegen, auch ein Täter, den Sie zu einer hohen Haftstrafe verurteilen, wird ja mal entlassen. Es ist also viel eher die Frage, wie sichern wir eine qualitative Therapie im Vollzug. Und da ist in der Umsetzung noch einiges zu tun. Was machen Sie denn mit einem Täter, der drei oder vier Jahre sitzt, die Therapie aber bereits nach zwei Jahren endet? Die Therapie ist immer auf ein Leben draußen ausgerichtet. Jemanden danach noch zwei Jahre im Gefängnis zu lassen, macht keinen Sinn.

Das Interview führte Stephanie Zeiler.

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