Ein Kreuz und ein quaderförmiger Klotz mit der Aufschrift "In tiefer Trauer" vor dem Tunnel in Duisburg, in dem bei der Massenpanik 21 Menschen starben

Stadt Duisburg plant Verlegung der Trauerstelle

"Für immer ein Trauertunnel"

Stand: 07.08.2010, 10:00 Uhr

Noch immer pilgern viele Menschen zum Unglücksort der Loveparade in Duisburg. In einigen Wochen will die Stadt die Trauerstelle auflösen und an einen anderen Ort verlegen. Die Trauernden am Tunnel reagieren zumeist mit Unverständnis.

Von Nina Magoley

Die Karl-Lehr-Straße in Duisburg, Freitag Nachmittag. Fast zwei Wochen ist es her, dass hier die Hölle ausbrach: Hinter dem niedrigen Tunnel, der die zweispurige Straße unter Bahngleisen und Autobahn herführt, stauten sich Menschenmassen zu tödlicher Enge. Tausende schrien in Todesangst, dazu ohrenbetäubendende Technomusik. Jetzt herrscht Stille hier im Tunnel. Vogelzwitschern dringt in das Dämmerlicht, es ist wieder warm geworden. Leise hallen Schritte von den Wänden wider, das tickende Geräusch eines Fahrrads, das geschoben wird.

Sie kommen immer noch täglich hierher: Menschen, aus Duisburg, aber auch von anderen Orten, die anteilnehmen wollen an der Katastrophe, die der Toten gedenken wollen. Langsam wandern sie an hunderten flackernder Kerzen vobei, die entlang der Tunnelwand aufgestellt sind. Bleiben stehen, um einzelne Briefe zu entziffern - Abschiedsbriefe, Trauerbekundungen, aber auch wütende Anklagen. An die Stadt, den Oberbürgermeister. "Die besten sterben jung", steht dort mit Filzstift geschrieben, "der Tunnel der Verlorenen" und immer wieder das Wort "Schande", sogar auf Englisch: "Shame".

Kerzenmeer und rote Rosen

Kaum ein Besucher an diesem Tag, dessen Blick nicht echte Betroffenheit zeigt. Eine Frau weint leise, während sie einen Stoffhund zwischen den Kerzen betrachtete. Mit einer roten Rose in der Hand nähert sich ein kleines, pummeliges Mädchen, an der Plakatwand nimmt Nathalie Pajonk gerade einen der bereitliegenden Filzstifte. Alle Werbeplakate in diesem Tunnel sind von Besuchern längst zu Gedenktafeln umfunktioniert, dicht beschrieben mit Wünschen und Namen. Auf diesem hier ist kaum noch ein Quadratzentimeter frei. Sie habe oben auf dem Hauptplatz getanzt, sagt die 23-Jährige mit dem blonden Zopf, und dabei nichts mitbekommen von dem Drama, das sich eine Etage tiefer ereignete. "Ich schäme mich dafür", sagt sie, und es klingt hilfesuchend. Zum zweiten Mal ist sie seitdem hier, diesmal mit Freund und Mutter. Die Straße, meint sie, sollte für immer gesperrt werden, damit man immer wieder herkommen könne.

Tief erschüttert blickt auch Freund Christian auf die Rampe und das Meer aus Kerzen. Er war nicht dabei am Tag des Unglücks, "aber erst wenn man das hier sieht, kann man wirklich nachvollziehen, wie verantwortungslos es war, so viele Leute in diese Enge zu schicken." Auch Mutter Birgit ringt um Fassung: Sechs Stunden lang hatte sie ihre Tochter am Unglücksabend nicht erreichen können. "Das waren die schlimmsten Stunden in meinem Leben." Auch in Zukunft, findet sie, "müsste man hier wenigstens Blumen ablegen dürfen."

Neuer Trauerort im Innenhafen

Doch die Trauer im Tunnel soll demnächst ein Ende haben. Bis zum 4. September wird die Karl-Lehr-Straße zwar noch für den Verkehr gesperrt bleiben - "wir wollen damit die üblichen sechs Wochen Trauerzeit einhalten", sagt der Duisburger Pressesprecher Frank Kopatschek. Dann aber sollen alle noch verbliebenen Kerzen, Briefe, Fotos und andere Andenken an die Opfer eingesammelt werden. In einer gläsernen Vitirine, so der Plan, sollen die Erinnerungsstücke dann im Duisburger Innenhafen, in der Nähe des Gartens der Erinnerung, aufgestellt werden. Das habe der am Freitag (06.08.10) in Duisburg neu gegründete "Bürgerkreis Gedenken" beschlossen, sagt Kopatschek. Am Ort des Unglücks werde eine Gedenktafel aufgehängt. Der Kreis, dem unter anderem Vertreter der Bürgerstiftung Duisburg, des Stadtsportbunds, des Integrationsrates, der Stadtverwaltung und der Duisburger Künstler angehören, werde sich bis dahin einmal wöchentlich treffen, "um zu beraten, wie das Gedenken an die Opfer fortgeführt werden kann".

"Nur hier können Angehörige trauern"

In den Innenhafen gehen, um dort den Opfern der Loveparade zu gedenken - das kann sich heute im Tunnel kaum jemand vorstellen. "Die Leute sind doch hier gestorben, nirgendwo anders", sagt Jana Heider und schüttelt leise den Kopf. Gemeinsam mit ihrer Freundin ist sie heute schon zum dritten Mal hier - es ziehe sie her, sagt die 21-Jährige ernst, obwohl sie selber gar nicht bei der Loveparade gewesen sei. Die beiden Freundinnen halten sich fest an der Hand, wie um sich gegenseitig Mut zu machen in der beklemmenden Düsternis des Tunnels. "Nur hier kann man nachvollziehen, was die Opfer erlebt haben", sagt Jana, "und nur hier finden die Angehörigen wirklich Verbundenheit zu ihnen."

"Die Leute werden sowieso immer wieder hierher kommen und Blumen und Kerzen hinstellen, egal, ob hier Autos fahren oder nicht", ist sich Jochen Wunschik sicher. Auf dem Fahrrad sind er und seine Frau heute aus Oberhausen hierher geradelt. "Das darf denen niemand verbieten", fügt seine Frau aufgeregt hinzu. "Ich habe selber ein Kind verloren" sagt sie und fängt an zu weinen, "ich weiß, wie lange der Schmerz bleibt".

Große Party im Innenhafen

Verständnis dafür, dass die Straße, die die Hauptverbindung zwischen Duisburg Ostbahnhof und Rheinhausen darstellt, irgendwann wieder für den Verkehr geöffnet werden muss, haben die meisten der Anwohner schon. Dennoch: "Der Innenhafen ist ein völlig fremder Ort, der mit dem Tatort nichts zu tun hat", findet Ralf Steinblock. Er wohnt nur ein paar hundert Meter entfernt und war auch bei der Loveparade. Etwa eine Stunde vor der Panik habe er allerdings die Flucht ergriffen. "Zuhause am Fernseher sah ich dann die Toten". Der Tunnel werde "für immer ein Trauertunnel bleiben", meint er, "und das muss auch so sein". Der Innenhafen dagegen sei am Wochenende "eine einzige große Party" - kein passender Ort für eine Trauerstätte.

Gegen Abend wandern immer mehr Menschen aus den beiden Stadtteilen Richtung Tunnel. Einige tragen neue Kerzen in der Hand, Fahrradfahrer steigen vom Sattel. Auf ein Plakat hat jemand geschrieben: "Der Tunnel weint mit uns."

"Versuch, das Unglück zu verdrängen"

Zweifel an dem Trauerkonzept der Stadt hat auch die Trauerexpertin Christine Aka. Nach einer Forschungsarbeit über Unfallkreuze an Straßen ist die Ethnologin davon überzeugt, "dass man solch einen Trauerort nicht einfach verlegen kann". Menschen gingen an Unglücksorte, um den Opfern nahe zu sein. "Im Innenhafen wird es diese Nähe nicht geben." Ob die neue Gedenkstelle angenommen würde, werde sich am ersten Jahrestag des Unglücks zeigen, prophezeit Aka. "Ich vermute, die Menschen werden in den Tunnel gehen." Die Idee der Verlegung aber zeige, meint die Uni-Professorin, "dass die Stadt Duisburg diese Trauer auf die Dauer gar nicht will. Es ist ein Versuch, das Unglück zu verdrängen."