Montage zeigt Kyrillzerstörung (links) und Wiederaufforstung an gleicher Stelle fünf Jahre später (rechts)

Fünf Jahre nach dem Orkan Kyrill

Neue Chance für den Wald

Stand: 17.01.2012, 06:00 Uhr

Am heftigsten wütete Kyrill vor fünf Jahren in Südwestfalen. Allein im Märkischen Kreis knickte der Orkan über zwei Millionen Festmeter Holz um, meist Fichtenmonokulturen. Bei der Wiederaufforstung setzt Revierförster Tennhoff auf Mischwald, der Sturm und Klimawandel trotzt.

Von Sabine Tenta

"Es war, als hätte mir jemand in den Magen gegriffen und ihn rumgedreht. Das zu sehen, tat richtig körperlich weh." Unvergessen bleibt der Anblick der Kyrill-Verwüstungen für Richard Nikodem vom Regionalforstamt Märkisches Sauerland. Am 18.01.2007 fegte der Sturm über Europa, forderte an diesem Tag und in der darauf folgenden Nacht allein in NRW sechs Todesopfer und 150 Verletzte. Am nächsten Morgen waren ganze Wälder kahl rasiert. Für die Waldbesitzer ging es mitunter um die Existenz. Die Arbeit von Generationen war in einer Nacht hinweggefegt worden. "Ein Waldbauer bei uns hat sogar 130 Hektar Wald verloren. Da haben wir hier im Wald gestanden und zusammen geweint", erinnert sich Nikodem.

Wiederaufforstung mit 23 Baumarten

Norbert Tennhoff

Norbert Tennhoff

Meist waren es Fichtenmonokulturen, die der Orkan flach gelegt hat. Der "Brotbaum" der Forstwirtschaft bringt vergleichsweise schnell Ertrag. In Balve im Märkischen Kreis waren von den betroffenen Bäumen 98 Prozent Fichte, sagt Revierförster Norbert Tennhoff. Bei der Wiederaufforstung rät Revierförster Tennhoff den Waldbauern dringend zu Mischwald, der auch dem Klimawandel Stand hält. Nicht alle, aber die meisten nehmen seinen Rat an. "Wir haben hier in den letzten Jahren 23 verschiedene Baumarten gepflanzt." Darunter waren Stieleiche, Traubeneiche, Rotbuche, Hainbuche, Kirsche, Bergahorn, Spitzahorn, Esche, Hainbuche sowie Feld- und Bergulme.

Natur pflanzt besser als der Mensch

Junge Douglasie

Junge Douglasie

Insgesamt wurden bei der Wiederaufforstung in seinem Revier 80 Prozent Laubholz und nur 20 Prozent Nadelholz gepflanzt. Der Endbestand werde dann aber einen geringeren Anteil an Laubbäumen haben. Denn zu der Wiederaufforstung durch den Menschen komme noch die Naturverjüngung der Fichte. Ihre leichten Samen werden vom Wind weit gestreut. Gerne werden diese Fichten in den neuen Wald übernommen, denn die Förster wissen: So gut wie die Natur kann der Mensch nicht säen und pflanzen. Natürlich ausgebrachte Bäume seien widerstandsfähiger. Sollte ein schusseliges Eichhörnchen seinen verbuddelten Wintervorrat vergessen und eine Eiche mitten im Douglasienwald wachsen, dann wird dieser Laubbaum auf Norbert Tennhoff zählen können. "Da werden wir auch von uns gepflanzte Douglasien rausnehmen, damit die Eiche Platz zum Wachsen hat."

Herkunftsnahes Pflanzgut 

Richard Nikodem

Richard Nikodem

Bei Nadelbäumen setze man nun auf die europäische Lärche und die Douglasie, die besser mit trockenen Böden zurecht kommt. Wichtig sei, dass Saat- und Pflanzgut herkunftsnah sind. Richard Nikodem erklärt, in den Genen seien Informationen zum Austrieb oder dem Wuchs der Äste gespeichert: "Eine Fichte aus dem Bergland wächst so" – er presst die Arme eng an den Körper – "aber eine aus der Tiefebene, zum Beispiel vom Niederrhein" – nun breitet er die Arme weit aus – "die steht ja so." Nach Kyrill habe es wegen der hohen Nachfrage Engpässe bei herkunftsnahen Pflanzen und Samen gegeben. "Da muss man eben mal ein, zwei Jahre warten, damit es nicht in zehn oder zwanzig Jahren böse Überraschungen gibt."

Schlaraffenland für die Rehe

Jagdhund Cäsar

Jagdhund Cäsar

Ein von Kyrill abrasierter Hang in Balve ist wieder mit jungen Douglasien begrünt, zwischen den Bäumchen wächst eine Krautschicht. Ein Reh springt plötzlich aus dieser perfekten Deckung auf. Eine Einladung für den Jagdhund von Norbert Tenhoff, der flugs hinterher sprintet. "Für die Rehe ist das jetzt hier ein Schlaraffenland", erklärt Tennhoff. In anderen Wäldern schützen zum Beispiel Plastikklammern auf den Triebspitzen die jungen Bäumchen gegen Wild-Knabbereien. Doch in Balve setzt Tennhoff erfolgreich auf die Jagd.

Plädoyer für den Mischwald 

Norbert Tennhoff und Richard Nikodem warnen eindringlich davor, bei der Wiederaufforstung nun nicht in das andere Extrem zu verfallen und auf Nadelholz zu verzichten. "Am artenreichsten ist der Mischwald", weiß Tennhoff. Die Rote Waldameise, die den Boden auflockert, braucht zum Beispiel Nadeln. Und die Industrie, ergänzt Nikodem, kann auch nicht auf das weichere Nadelholz verzichten: "Einen Dachstuhl können Sie nur aus Nadelholz bauen."

Die Folgen von Kyrill werden die Förster und Waldbauern noch lange beschäftigen. Aber sie denken ohnehin in Zeiträumen von 100 oder gar 180 Jahren. Denn nach dieser Zeit ist der Endbestand der Douglasie beziehungsweise der Eiche erreicht. Doch für Wanderer und Spaziergänger wird teilweise schon in einigen Jahren wieder alles anders sein. Norbert Tennhoff schaut auf die Lichtung mit den jungen Douglasien und ist sich sicher: "In fünf Jahren haben wir hier eine grüne Wand."

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