Helmut Schulte

Fußball-Trainer überlebte nur knapp

Das zweite Leben nach dem Orkan

Stand: 16.01.2008, 06:00 Uhr

Wenn sich die Bäume im Sturm biegen, beschleicht Helmut Schulte immer noch ein mulmiges Gefühl. Der Nachwuchstrainer von Schalke war im Orkan Kyril von einer gestürzten Buche fast getötet worden.

"Es ging um Millimeter. Dieses Trauma zu verarbeiten, braucht seine Zeit", sagt Helmut Schulte heute im Rückblick auf seinen Unfall im Orkan Kyrill. Am 18. Januar 2007 krachte eine kräftige Buche auf sein Autodach. "Ich wurde regelrecht aus dem Leben gebrettert", erinnert sich Schulte, der nach künstlichem Koma, mehreren Operationen und anstrengenden Reha-Maßnahmen inzwischen wieder als Nachwuchs-Koordinator von Schalke 04 arbeiten kann.

"Eine winzige Überlebens-Chance"

Gewisse Bewegungseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule spürt er immer noch, aber das sei nach so einem Unfall ja normal. "Ich hatte viel Glück, weil es nur eine winzige Chance gab, das zu überleben", sagt der 50 Jahre alte Familienvater, der früher die Bundesligisten FC St. Pauli, Dynamo Dresden und die Profis von Schalke trainierte. Später hat er in Gelsenkirchen das sportliche Konzept für die Gesamtschule Berger Feld entwickelt, die im Mai 2007 vom Deutschen Fußball-Bund als "Eliteschule des Fußballs" ausgezeichnet wurde.

An jenem 18. Januar kam Schulte von einer Tagung aus Frankfurt. Dem Sturm, der über Deutschland fegte, maß er keine Bedeutung bei. Den Baum, der in der Dämmerung auf die viel befahrene Ruhrallee am Essener Baldeneysee stürzte, sah er nicht. "Der Hauptstamm hatte eine Gabel mit zwei kräftigen Ästen. Einer bretterte auf meine Motorhaube, der andere auf meinen Rücksitz. Dazwischen war ich und auf mir das Dach", sagt Schulte, der zwei Finger zu einem V spreizt, um zu zeigen, wie knapp es an jenem Abend war.

Foto mit Baumstumpf fürs Album

Der Trainer weiß das nur aus Erzählungen der Feuerwehrmänner, die ihn mit Kettensägen aus dem Autowrack befreiten. Eine wirkliche Erinnerung an seine Bergung hat er nicht. "Dass ich die ganze Zeit bei Bewusstsein war, davon aber nichts weiß, macht mir heute am meisten zu schaffen", sagt Schulte. In der Klinik wurde er in ein künstliches Koma versetzt, aus dem er erst Wochen später erwachte. Da ist er von einem Flashback überrumpelt worden. Dass eine Krankenschwester gefragt habe, "Herr Schulte, wissen Sie, wo Sie sind?", fiel ihm plötzlich wieder ein, den Geruch des Airbags hatte er wieder in der Nase - und wurde ihn lange nicht mehr los. Der zweite Halswirbel war gebrochen, das Rückenmark aber unbeschädigt. Zwölf Wochen musste Schulte einen Halo-Fixateur tragen, der an vier Stellen in seinem Schädelknochen festgeschraubt war.

Mit seinem "Widersacher" konfrontiert er sich regelmäßig, denn Schulte fährt nahezu täglich über die Essener Ruhrallee und nimmt den etwa fünf Meter langen Baumrest am Straßenrand wahr. Drei Monate nach dem Unfall ließ er sich sogar für das Familienalbum auf dem Baum sitzend fotografieren. "Der Baum starb, ließ mich aber am Leben", erzählt Schulte, der die Buche symbolisch in seine Arme schloss. "Eigentlich sind Bäume doch meine Freunde."

Dem Tod ins Auge zu sehen ist eine Chance

In seinem Leben habe sich einiges geändert. "Durch eine solche Erfahrung bekommen viele Dinge einen anderen Stellenwert. Ich beobachte mich und meine Entscheidungen viel intensiver", sagt Schulte, der glaubt, dass er gelassener und achtsamer geworden sei. "Das Gefühl, dass es von heute auf morgen zu Ende sein kann, ist eine Chance. Etwas, das mich stärker gemacht hat." Am 18. Januar will er mit seiner Familie ein wenig feiern. "Das wird wie ein zweiter Geburtstag, an dem ich dankbar und demütig sein möchte."

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