Wim Wenders über seinen Film "Pina"

"Ich war wie vom Donner gerührt"

Stand: 14.02.2011, 17:09 Uhr

Wim Wenders' in 3D gedrehte Hommage an Pina Bausch und ihr Wuppertaler Tanztheater sorgte auf der Berlinale für Begeisterung. Nun startet der Film in den Kinos. Im Interview erzählt Wenders von den vielen Hürden, die das Projekt nehmen musste.

WDR.de: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Pina Bausch?

Wim Wenders: Sehr deutlich sogar, denn das war ein wichtiger Tag in meinem Leben. Wir trafen uns 1985 in Venedig. Die Jahre zuvor, in denen Pina Bausch berühmt wurde, habe ich überhaupt nicht mitbekommen, weil ich zu der Zeit in Amerika lebte. Meine damalige Freundin kannte Pina aber aus Frankreich, wo sie mit ihrem Tanztheater mehrfach auf Festivals aufgetreten war. Sie schwärmte regelrecht von ihr. Und in Venedig sah ich Pina dann das erste Mal im Stück "Cafe Müller". Ich war wie vom Donner gerührt und habe sofort meinen Hotelaufenthalt verlängert, um auch noch alle anderen Stücke von ihr sehen zu können. Und ich hatte das Glück, sie dort auch persönlich kennen zu lernen.

Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass wir aus derselben Gegend stammen, aber wir haben uns von Anfang an richtig gut verstanden. Bereits damals habe ich zaghaft etwas von einem Filmprojekt geplappert und dass wir was zusammen machen müssten, so begeistert war ich. Pina hat aber nicht so richtig reagiert; nur wieder einen Zigarettenzug genommen und mich im unklaren gelassen, ob sie das Ernst nimmt. Erst in den Jahren danach hat sie mir allmählich deutlich gemacht, dass sie sich an dieses erste Gespräch erinnert. Und irgendwann hat sie auch von sich aus nachgehakt und insistiert: "Wim, wir wollten doch ..."

WDR.de: Für diejenigen, die Pina Bausch und ihr Theater nie gesehen haben: Lässt sich in Worte fassen, was es zu etwas ganz Besonderem machte?

Wenders: Das ist diese Magie, die Pinas Theater hatte, wenn man es live erlebte. Die Körperlichkeit und die Unmittelbarkeit, wie das auf den eigenen Körper übersprang und wie man beteiligt war. Das geschah auf eine ganz andere Art, als ich es je bei einem Rockkonzert, beim Theater oder einer anderen Vorführung erlebt habe. Nie zuvor habe ich mich so angesprochen gefühlt und war bewegt bis ins tiefste Mark wie bei Pina.

WDR.de: Haben Sie eine Erklärung dafür?

Wenders: Es ist die Genauigkeit ihrer Beobachtung. Die Radikalität, mit der sich Pina auf die Körpersprache und das Lesen des Körpers konzentriert hat. Von uns Filmemachern kann das niemand. Körpersprache ist uns zwar wichtig im Film. Aber den Blick so zu schärfen, dass man einen Menschen ohne Worte und ohne Psychologie nur aus seinen Gesten und seiner Bewegung erkennt. Und gleichzeitig zeigen kann, was sein Innerstes ist - das ist mir völlig unbekannt gewesen. Und ich wollte das übersetzen.

WDR.de: Warum dauerte es dennoch so lange, bis Sie diese Idee verwirklichten?

Wenders: Weil meine Erkenntnis nach vielen Gesprächen war: Ich kann es nicht. Und weil ich Pina nicht belügen konnte, hab ich es ihr gesagt: Ich steh da wie vor einer Mauer. Das, was ihr da macht, da komm ich nicht ran, obwohl ich alles, was es zu diesem Thema an Tanzfilmen gibt, studiert habe. Und ich habe nach Mitteln gesucht: Handkamera, Krankamera, Steadycam - aber alles, was ich kannte und konnte, war nicht gut genug, irgendetwas fehlte. Und erst 2007, als ich den ersten, noch ziemlich rudimentären 3D-Film gesehen hab - "U2 in 3D" - wusste ich: Es gibt eine Tür in das Königreich der Tänzer. Und auch, wenn der Technik zu Anfang noch vieles fehlte, wusste ich: Mit dem, was 3D mal können wird, kann es funktionieren. Und ab diesem Moment begannen wir konkret zu planen und legten den Dreh auf den Herbst 2009 fest.

WDR.de: Pina Bauschs plötzlicher Tod im September 2009 durchkreuzte dann alle Ihre Pläne.

Wenders: Wir saßen in meinem Berliner Büro und besprachen den Transport unserer Technik nach Wuppertal. Die Kameras waren schon eingeladen, zwei Tage später wollten wir mit den Aufnahmen beginnen. Als dann das völlig Unvorstellbare passierte, habe ich sofort alles gecancelt. Für mich war nichts anderes vorstellbar, schließlich war das ganze Konzept auf Pina aufgebaut. Erst allmählich, vor allem durch Gespräche, die nach der Trauerfeier des Tanztheaters in Wuppertal stattfanden, dämmerte mir: Das war die falsche Entscheidung. Denn es war Pinas Wunsch, diese Stücke aufzuzeichnen, um sie - wie sie selber mal gesagt hat - "gut aufzuheben". Diese Kunst gibt es ja nur, wenn man sie aufführt, das war eine schwere Last auf ihren Schultern. Pinas Theater kann nicht weitergegeben werden, und es kann auch nur sehr eingeschränkt von anderen aufgeführt werden.

WDR.de: Wäre der Film anders geworden, wenn sie nicht gestorben wäre?

Wenders: Es wäre es ein ganz, ganz anderer Film geworden. Bis auf die Stücke, die ich noch mit ihr besprochen hatte, ist nichts so geblieben, wie geplant. Es wäre ein Film über Pinas Blick geworden. Über ihren Blick auf die Welt, auf ihre Tänzer. Und jetzt ist es ein Blick der Tänzer auf Pina geworden. Mit ihr an meiner Seite hätten wir uns die Verantwortung geteilt. Ich hätte immer zu Pina rübergeguckt und dann hätte sie gelächelt. Oder sie hätte die Stirn gerunzelt und ich hätte gewusst: Jetzt muss ich was anders machen. Ich hatte ihr ja viel versprochen, was 3D alles kann. Ohne ihr wirklich zeigen zu können, dass das auch so ist. Als wir es dann ohne sie machen mussten, war ihr Blick über meine Schultern immer da. Solch eine Verantwortung habe ich noch bei keinem anderen Projekt gespürt. Aber unser Ziel, einen Film FÜR Pina zu machen, haben wir, glaube ich, erreicht.

WDR.de: Die Außendrehs entstanden an sehr ungewöhnlichen Orten: In der Wuppertaler Schwebebahn, auf einer alten Abraumhalde, auf einer Verkehrskreuzung: Wer war für die Auswahl verantwortlich?

Wenders: Die Orte lagen mir sehr am Herzen. Ich habe sie selbst vorgeschlagen und für jeden Tänzer ausgesucht. Und nach den Proben haben wir den Ort verwendet, der die jeweilige "Antwort" der Tänzer am besten visuell unterstützte. Das war für mich eine große Freiheit, dass ich aus meiner Kenntnis der Wuppertaler Gegend und des Ruhrgebiets selbst nach den Orten suchen konnte. Zum Beispiel diese Wahnsinns-Wüstenlandschaft der Halde Haniel: Mein Gymnasium war zehn Minuten davon entfernt, daher kannte ich diesen kahlen Berg, auf dem nichts wachsen konnte. Und als ich diese sehr bewegende Szene sah, in der die Tochter ihren Vater auf dem Rücken trägt, ist mir der Salzsee eingefallen, den es oben auf dieser Halde gibt. Auf das Tänzerische hingegen habe ich überhaupt nicht eingewirkt, das haben die Tänzer zusammen mit den beiden technischen Leitern selbst in der Hand gehabt.

WDR.de: Wie haben Sie es geschafft, von dieser eher tristen Industriestadt Wuppertal solch ein sonniges Bild im Film zu vermitteln?

Wenders: Da hat jemand dran gedreht. Ich weiß nicht, ob es Pina war. Wir haben da auch drüber gelacht. Wenn wir morgens während der Dreharbeiten in Wuppertal aus dem Fenster guckten - und wir haben mehr als zehn Tage Außendrehs in der Stadt gehabt - schien jedes Mal die Sonne. Das war unfassbar, denn Sonne in Wuppertal ist eigentlich Ausnahmezustand. Ich hätte es gerne mal regnerisch gehabt. (lacht)

WDR.de: Was war der berührendste Moment für Sie während der Dreharbeiten?

Wenders: Davon gab es eine ganze Menge. Diese Ernsthaftigkeit der Tänzer hat mich auch hinter der Kamera mehr als einmal zu Tränen gerührt. Als Christiana den Spitzentanz aufführt - vor der Kulisse der Kokerei Zollverein mit Kalbfleisch in den Balettschuhen, habe ich Rotz und Tränen geheult. Obwohl ich ihn schon zigmal vorher gesehen hatte.

WDR.de: Werden Sie Ihren nächsten Film erneut in 3D produzieren?

Wenders: Im Moment wäre es schwer für mich, davon wieder runterzukommen. Ich kann mir kaum vorstellen zum 2D-Film zurückzugehen. Und wenn ich von "zurückgehen" spreche, ist das eigentlich schon eine Antwort. Ich würde wahnsinnig gerne noch mal eine Geschichte mit diesem Medium erzählen. Jetzt wieder einen Film für die flache Leinwand zu machen, ist nur schwer vorstellbar.

Das Interview führte Stefan Domke.