Zwei Silikonkissen während der Brust-Operation

"Doppelt so viele Betroffene"

Skandal um Silikon-Implantate

Stand: 27.01.2012, 15:09 Uhr

Der Skandal um minderwertige Brustimplantate weitet sich aus. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte warnt vor Silikonkissen eines weiteren Herstellers. Martin Reifenrath, plastischer Chirurg in Dortmund, geht davon aus, dass sogar doppelt so viele Frauen in NRW betroffen sind wie bisher bekannt.

Das Bundesinstitut warnte am Freitag (27.01.2012) vor Produkten der Firma GfE Medizintechnik GmbH. Die Implantate, die von September 2003 bis August 2004 unter dem Namen "Tibreeze" auf dem Markt waren, enthalten Silikon-Gel der französischen Firma PIP. Sie sollten vorsichtshalber entfernt werden, sagte ein Sprecher der Behörde. Diese Empfehlung gilt auch für Implantate der niederländischen Firma Rofil. PIP-Gründer Jean-Claude Mas hatte zugegeben, einen Großteil seiner Implantate mit einem Billig-Gel gefüllt zu haben, das mit einem eigentlich für Industrieprodukte bestimmten Silikon zusammengemischt wurde. Die Silikonkissen, die auffällig oft rissen, werden unter anderem für Entzündungen verantwortlich gemacht.

Dr. Martin Reifenrath

Der plastische Chirurg Martin Reifenrath praktiziert am St.-Johannes-Krankenhaus in Dortmund sowie am Evangelischen Krankenhaus in Dortmund-Lütgendortmund. Er führt nach eigenen Angaben im Jahr 150 Brust-Operationen durch.

WDR.de: Herr Dr. Reifenrath, das Landesgesundheitsministerim hat an 25 Kliniken und Praxen in NRW eine Abfrage gestartet. Es will wissen, wie viele Frauen bisher das fehlerhafte Silikonpräparat der Firmen PIP und Rofil, bekommen haben. Demnach sollen 500 Patientinnen in NRW davon betroffen sein. Halten Sie diese Zahl für realistisch?

Martin Reifenrath: Ich würde die Zahl der Betroffenen doppelt so hoch einschätzen. Denn aufgrund der günstigen Produktionsbedingungen in Frankreich haben möglicherweise sehr viel mehr Hersteller in Frankreich produziert als bisher angenommen.

WDR.de: Wie kommen Sie darauf?

Reifenrath: Die Firmen PIP und Rofil haben in Frankreich Implantate namens "Tibreeze" produziert und ihre Implantate von September 2003 bis August 2004 hier zu günstigen Preisen vertrieben, bis die Firma plötzlich vom Markt verschwunden ist. Gestern stellte sich eine Patientin aus Köln bei mir vor, die ich vor zehn Jahren operiert habe. Sie trägt Implantate der englischen Firma Nagor. Im Produktpass waren sie aber als Implantate von Rofil ausgewiesen. Und von der weiß man ja, dass sie in Frankreich produziert hat.

WDR.de: Das wäre eine Art Etikettenschwindel. Was ist Ihrer Meinung nach die richtige Konsequenz?

Reifenrath: Zu klären wäre jetzt, ob andere Firmen aufgrund der günstigen Bedingungen dort jetzt auch noch produziert haben – und wenn auch nur für eine gewisse Zeit. Deswegen sollten wir von den Firmen verlangen, dass sie offen legen, wann und wo sie genau produziert haben. Die gängigsten Implantate werden etwa von zehn unterschiedlichen Firmen bezogen. Und da möchte man schon wissen, wo die wirklich produziert wurden, um den Patientinnen eine gewisse Sicherheit vermitteln zu können.

WDR.de: Geben die Hersteller keine Haltbarkeitsgarantie?

Reifenrath: Alle Garantien, die von Herstellern ausgesprochen werden, beziehen sich nur darauf, dass sie das Implantat ersetzen, wenn eine Ruptur festgestellt wird. Der Hersteller garantiert also nicht, dass die Implantate nicht reißen.

WDR.de: Was raten Sie den Frauen?

Reifenrath: Ich halte es für ganz wichtig, dass sich alle Frauen mit Implantaten regelmäßig bei dem plastischen Chirurgen, der sie operiert hat, kontrollieren lassen. Der Arzt sieht dann nach, ob Mikrorisse entstanden sein könnten. Alle plastischen Chirurgen, die lange dabei sind, haben kaputte Implantate verschiedenster Hersteller gesehen. Wie gesagt: Eine lebenslange Garantie gibt es nicht.

Das Gespräch führte Almut Horstmann.