Weg der Demonstration zur Afghanistankonferenz 2011

Bonn im Zeichen der Afghanistankonferenz

Politik, Polizei und Proteste - fast wie damals

Stand: 05.12.2011, 18:21 Uhr

Drinnen wurde um Afghanistans Zukunft gerungen, draußen herrschte Ausnahmezustand: Zehn Jahre nach der ersten Afghanistankonferenz am Rhein kehrte die Weltpolitik zurück nach Bonn - mit einem riesigen Polizeiaufgebot, Protesten und Verkehrsbehinderungen.

Von Marion Kretz-Mangold

Es ist grau, nass und ungewohnt leer an diesem Bonner Montagmorgen. Wo sich sonst die Autos der Pendler stauen, herrscht Grabesruhe: Für das ehemalige Regierungsviertel und weit darüber hinaus gilt die höchste Sicherheitsstufe. Parken ist verboten, Radfahrer werden umgeleitet, und wer jenseits der Absperrungen zur Arbeit will, wird von einem Polizisten bis zur Tür begleitet. Grün-weiß, blau-silber und neongelb beherrschen die Szenerie: Jede Menge Einsatzfahrzeuge und Beamte in Westen, mit Handys und Kontrolllisten und einer Maschinenpistole unter dem Arm.

Holzhütten-Heimeligkeit

Dabei sind die tausend Delegierten, die Außenminister und die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen, die in Bonn über die Zukunft Afghanistans nach dem Abzug der ausländischen Soldaten beraten wollen, noch gar nicht am Konferenzzentrum unten am Rhein eingetroffen. Es ist noch ruhig vor dem ehemaligen Plenarsaal. Der rote Teppich für die besonders wichtigen Delegierten ist ausgerollt, drinnen hängen die bunten Fahnen der teilnehmenden Länder, draußen frieren die Sicherheitsleute, die darauf warten, die Fahrzeugkolonnen möglichst zügig zum Eingang zu winken. Ein paar haben sich ins "Bundesbüdchen" gleich um die Ecke geflüchtet. "Hier iset warm", sagt einer mit unverkennbaren Berliner Dialekt, "un die Buletten sind ooch lecka." Jürgen Rausch, dem die Holzblockhüttte gehört, hat Brötchen auf Vorrat geschmiert, mit Schnitzel, mit Ei und eben mit Frikadellen. Ob er auf ein Geschäft hofft? "Naja, die letzten zwei Tage war ja alles schon abgesperrt", sagt er achselzuckend. "Und die meisten trinken eh nur Kaffee." Die Sicherheitsbeamten frotzeln, lauschen in ihre Handys hinein und kauen schneller: Die Kolonnen sind unterwegs.

Demonstrieren als Lebensaufgabe

Auge in Auge: Polizisten und Demonstranten

Auge in Auge: Polizisten und Demonstranten

Und deswegen geht zwei Straßen weiter nichts mehr. Die Adenauerallee, zu Hauptstadtzeiten spöttisch "Diplomatenrennbahn" genannt, gehört jetzt ganz den schwarzen Autos. Mit Blaulicht werden sie in Richtung WCCB geschleust, vorbei an Hunderten von Polizisten in Schwarz und einigen Dutzend Demonstranten, die ihre Transparente in den Wind halten und jedem Fahrzeug nachtrillern. Am Samstag hatten sie die große Demo in der Innenstadt, am Vortag eine Anti-Kriegskonferenz. Jetzt stehen sie seit Stunden auf der anderen Straßenseite, mit dicken Mützen und in regenbogenbunte Friedensfahnen gewickelt, und skandieren "Truppen raus aus Afghanistan!" Organisator Manfred Stenner vom Netzwerk Friedenswerk zieht fröstelnd die Schultern hoch: "Wir wollen zeigen, dass nicht alle mit dieser Politik und dieser Konferenz einverstanden sind. Und wir denken, dass wir für eine breite Mehrheit der Bevölkerung stehen." Das sei sozusagen ihr Job, schiebt er nach, während die nächste Kolonne vorbeirauscht.

Sicherheitschecks für (fast) alle

Inzwischen ist es halb Zehn, die feierliche Eröffnung der "Internationalen Afghanistan-Konferenz", wie sie offiziell heißt, rückt näher. Unten am WCCB fahren die Autos und Großraumwagen im Halbminutentakt vor und spucken Delegierte aus. Auch sie müssen durch den Sicherheitscheck, mitsamt ihren Rollkoffern voller Unterlagen. Ein offensichtlich ranghoher amerikanischer Militär eilt über den roten Teppich hinein, gefolgt von einem gewichtig aussehenden Herrn mit dunkler Haut. Und war das nicht gerade Hillary Clinton, die mit windzerzausten Haaren ins Warme strebt? Nein, nein, die wirklich wichtigen Teilnehmer seien unten am Rhein ins Gebäude gegangen. Aber mehr, heißt es dann, dürfe man dazu wirklich nicht sagen. Drinnen ertönt ein Gong: In wenigen Minuten geht es los.

Protest auf dem Wasser

Dahn: "Kunde ist Kunde"

Dahn: "Kunde ist Kunde"

Unten am Fluss ist es ruhig, noch ist der Rhein für den gesamten Schiffsverkehr gesperrt. Am gegenüberliegenden Ufer kämpfen Kriegsgegner mit dem Wind: Die mannshohen Buchstaben, die sie zu Slogans wie "Bring the soldiers home" gruppieren wollen, fallen immer wieder um. Der Wind lässt auch die riesige Regenbogenfahne knattern, die das Schiff am jenseitigen Ufer bedecken. "Mal gespannt, ob die Fahne die Fahrt überlebt", sagt Kapitän Alexander Dahn. Die Demonstranten haben die "Beethoven", die sonst Ausflügler den Rhein rauf und runter trägt, gemietet und ein Protestschiff daraus gemacht. Das soll gleich gen Norden fahren, vorbei an der großen Fensterfront des Plenarsaals, wo die Delegierten tagen. Ob er sich mit den Forderungen seiner Passagiere solidarisch erklärt? "Ach, wissen Sie, da bin ich neutral", sagt er. "Obwohl: Ich halte das, was sie machen, für sinnlos. Aber wir haben in Deutschland ja Meinungsfreiheit." Dann versucht er, einen Friedens-Wimpel fotogerecht zu drapieren: Kunde ist schließlich Kunde.

"Bon jour", "Hello" und "Salam!"

Shaheer Nesari aus Afghanistan

Shaheer Nesari: Angst vor der Zeit nach 2014

Dann entern die Kriegsgegner, die ihren zugigen Platz an der Adenauerallee geräumt haben, das Schiff, die Polizisten machen Pause und Erinnerungsfotos. Im ehemaligen Plenarsaal ergreifen derweil Westerwelle, Karsai, Clinton das Wort, scharf beobachtet von den Journalisten. Die sitzen weit weg, jenseits der Sicherheitszone, und bekommen die Informationen von der großen Leinwand über ihren Köpfen. Das offizielle Pressezentrum ist in einem Luxushotel untergebracht worden - auf ein Schiff wie vor zehn Jahren hätten die vielen Medienleute gar nicht gepasst. Der Andrang ist enorm, das Sprachengewirr auch: Russisch, amerikanisches, britisches und indisches Englisch, dazu Dari, Farsi und Pashtu. "Salam!", schallt es immer wieder durch den Saal: Viele Journalisten kennen sich von früheren Afghanistan-Konferenzen, auch Shaheer Nesari, Arzt und Vertreter der Zivilgesellschaft. "Als Student musste ich Turban und einen langen Bart tragen", erinnert er sich, und er schaudert. Jetzt hat er Angst, dass die Taliban wieder kommen. "Wir alle hier haben Angst. Was wird, wenn die Soldaten weg sind? Und wer weiß, ob die Staaten ihre Versprechen halten. Es ist ja nicht schriftlich festgehalten." Trotzdem, sagt er, war die Konferenz wichtig. "Das musste einfach gemacht werden."

Erinnerungsfotos und Erwartungen

Inzwischen ist es draußen wieder dunkel geworden. Die Konferenzteilnehmer haben für einen letzten Stau im Feierabendverkehr gesorgt, die Kriegsgegner sind drei Mal am Konferenzort vorbeigeschippert, ohne dass die Fahne weggeweht wurde, sogar die Holzbuchstaben haben sich zu "End the war in Afghanistan" gruppieren lassen. Im Pressezentrum packt Shaheer Nesari sein Laptop ein. Nächste Woche ist er wieder in Afghanistan - und in zehn Jahren wieder hier, zur nächsten großen Jubiläums-Konferenz? "Um Gottes willen, ich hoffe nicht", lacht er. Dann posiert er mit einem Kollegen für ein Foto: Eine letzte Erinnerung an die große Afghanistan-Konferenz in Bonn.

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