Ein deutscher und ein türkischer Pass

Mit 18 müssen sich Migranten für einen Pass entscheiden

Deutsch oder nicht deutsch?

Stand: 25.02.2008, 06:00 Uhr

Viele Einwandererkinder haben zwei Pässe: den deutschen und den ihres Heimatlandes. In der Regel ist aber mit dem Doppelpass Schluss, sobald sie 18 Jahre alt sind. Wie sollen sie sich entscheiden? Für die einen ist es Herzenssache, für die anderen reines Kalkül.

Von Marion Menne

Seit Anfang des Jahres bekommen Jugendliche mit zwei Staatsangehörigkeiten, die bald volljährig werden, Post vom Ausländeramt. Mit diesem Brief werden sie aufgefordert, sich für eine ihrer Staatsangehörigkeiten zu entscheiden: deutsch oder nicht deutsch? Der Grund für den Aufwand: Die rot-grüne Reform des Staatsangehörigkeitsrechts aus dem Jahr 2000. Damals war es ausländischen Eltern möglich, für ihre Kinder zusätzlich den deutschen Pass zu beantragen. Voraussetzung: Die Kinder waren noch keine zehn Jahre alt und mindestens ein Elternteil lebte seit acht Jahren legal in Deutschland. Der damalige Kompromiss sieht aber außerdem vor, dass diese Kinder mit 18 in der Regel einen der beiden Ausweise wieder abgeben müssen.

Halil will den deutschen Pass

Einer, der bald Geburtstag hat und sich deshalb entscheiden muss, ist Halil Eren, ein Abiturient aus Bochum. Er kennt seine Rechte und kann aufzählen, welche Vorteile ihm der deutsche Pass bietet. Reisefreiheit innerhalb der EU, Wahlrecht in Deutschland und die Möglichkeit, hier Beamter zu werden. "Das alles habe ich mit einem türkischen Pass nicht", sagt er. Anders als EU-Bürger oder Schweizer dürfte er, wenn er sich für den türkischen Pass entschiede, keinen Doppelpass besitzen.

Geschockt vom Unwissen der Altersgenossen

Halil ist in Deutschland geboren, sein Großvater war mit der ersten Einwanderungswelle gekommen und siedelte die Familie im "Wolfsfeld" an, einer Bochumer Siedlung türkischer "Gastarbeiter". Hier wuchs auch Nihal Kaplan auf, die beste Freundin seiner Schwester. Beide besuchten zuerst die Hauptschule und machten dann Abitur. Sie sind schockiert, wie wenig ihre Altersgenossen über ihre Möglichkeiten in Sachen Doppelpass wissen. Im multikulturellen Jugendzentrum Bochum-Dahlhausen sei die doppelte Staatsbürgerschaft "kein Thema". In dem Zentrum betreuten Halil und Nihal Kinder und Jugendliche, die meist nicht so eine gute Schulbildung haben wie sie selbst.

Unterwegs als Einbürgerungs-Berater

"Die Jugendlichen haben meist null Ahnung", bestätigt auch Kenan Araz vom Büro für Einbürgerung aus dem benachbarten Bochumer Stadtteil Eppendorf. Der 43-Jährige, selbst Türke mit deutschem Pass, ist in Jugendzentren wie in Dahlhausen unterwegs und informiert. Er erklärt den Jugendlichen vor allem, dass es mit dem deutschen Pass leichter sei, einen Job zu finden. Denn die erste Frage sei immer: Welchen Profit habe ich von dem einen oder anderen Pass? Finanziert wird sein Büro, das nach seinen Angaben das einzige seiner Art in NRW ist, vom NRW-Integrationsministerium.

Etwa 3.300 Jugendliche sind es in diesem Jahr

Ab 2008 müssen sich laut Araz jedes Jahr bundesweit 3.300 Jugendliche für eine ihrer Staatsbürgerschaften entscheiden. Araz schätzt, dass seit 2000 etwa 50.000 Menschen eingebürgert wurden. Dazu zählen auch die Kinder, die seit der Reform von Geburt an deutsch sind, weil ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Auch sie müssen sich mit 18 für einen Pass entscheiden, wenn ihre zweite Staatsbürgerschaft nicht die eines EU-Landes oder der Schweiz ist. Die Zahl der Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft wird laut Bundesinnenministerium in Deutschland nicht statistisch erfasst. Das Ministerium schätzt sie "auf mindestens zwei Millionen".

Aufwand beim Amt

In Köln zum Beispiel, wo der Ausländeranteil mit 19 Prozent relativ hoch liegt, bekommen in diesem Jahr 105 junge Frauen und Männer Post vom Amt. "Bis Mitte Februar wurden 16 Personen angeschrieben", berichtet die Chefin der Ausländerabteilung, Dagmar Dahmen. Überwiegend gehe es um Türken, aber auch Serben und Iraner müssen erklären, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft behalten wollen. Wer sich nicht innerhalb von fünf Jahren meldet, dem droht der Entzug des deutschen Passes. Doch es sind auch Ausnahmen zugelassen: Wenn es etwa mit der Abgabe des ausländischen Passes schwerer wird, die Familie in der Heimat zu besuchen. In solchen Fällen müsse die Bezirksregierung oder sogar das Innenministerium mit entscheiden, so Dahmen.

Türkische Verbände: Gesetz ist diskriminierend

"Die überwiegende Mehrzahl der Jugendlichen wird sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden", ist sich der Einbürgerungsberater Araz sicher. Immerhin hätten die Eltern den Doppelpass extra beantragt. Doch der Zwang zur Entscheidung bleibt ein Politikum, speziell unter Türken.

Laut Araz gibt es Interessenverbände und türkische Vereine, die ihren Mitgliedern das Gefühl vermitteln, das Gesetz sei diskriminierend. Damit wollten sie die dauerhafte Mehrstaatlichkeit erreichen - ausdrücklich auch für Türken. Faruk Sen etwa, der Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, sagt: "Die Jugendlichen wollen in keinem Fall den türkischen abgeben und den deutschen behalten. Warum sollten sie das tun? Nur weil sie keine EU-Bürger sind?"

"Warum nicht beide Pässe behalten?"

Nihal aus Bochum hat keine Angst, mit der Abgabe des türkischen Passes auch ihre Identität zu verlieren. Und auch Halil, der von türkischer Popmusik und dem Rosenöl aus seiner Heimat schwärmt, sieht den Verlust emotionslos. Aber sie kennen Jugendliche, die aus Heimatliebe, Patriotismus oder aus Angst, dass die Familie Besitz in der Heimat verliert, anders entscheiden. Also fragen sie sich, warum es nicht möglich ist, beide Pässe zu behalten, dann hätten sie nicht "die Qual der Wahl". Nihal schüttelt verständnislos den Kopf über das strenge Gesetz: "Die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein klitzekleines Problem, das man zu einem großen macht."