Zwangsehen in der türkischen Gemeinschaft

Mord im Namen der Familienehre

Stand: 08.03.2005, 15:17 Uhr

Vor einem Monat starb eine junge Türkin in Berlin - vermutlich, weil ihre Familie ihre emanzipierte Art zu leben nicht ertrug. Anlässlich des Internationalen Frauentags hat WDR.de nachgefragt: Wie weit verbreitet sind arrangierte Ehen, wie akzeptiert Ehrenmorde?

Von Schiwa Schlei

Eine genaue Zahl der Zwangsverheiratungen in Nordrhein-Westfalen kennt die Landesregierung nicht. Auch Yasemin Karakasoglu, die sich mit dem Thema wissenschaftlich auseinandersetzt, möchte keine Einschätzung vornehmen. "Das Problem fängt schon bei der Definition an: Wo beginnt die Zwangsehe, wo handelt es sich 'nur' um eine arrangierte Hochzeit?", sagt sie. Die Professorin für "Interkulturelle Bildung" an der Universität Bremen hat die Lebenseinstellung und die Erwartungen junger Türken in Deutschland untersucht. Eine Frage dabei: "Was halten Sie davon, wenn Eltern zusammen mit der Tochter einen Partner aussuchen?" Elf Prozent der in Deutschland lebenden Türkinnen fanden das grundsätzlich gut. Die große Mehrheit allerdings lehnt diese Form der Partnerfindung ab. Zumindest wenn sie via Fragebogen gefragt wird.

Druck der Eltern nicht immer gleich

Und die Realität? "Ich glaube, dass in der türkisch-muslimischen Community in Deutschland, der Versuch, Kindern eine arrangierte Ehe nahe zu legen, sehr weit verbreitet ist", sagt Karakasoglu, die auch für das Bundesverfassungsgericht als Gutachterin tätig war. Kämen die Töchter - aber auch Söhne - in das entsprechende Alter, würden Treffen arrangiert und diverse Gelegenheiten genutzt, um potenzielle Partner einander vorzustellen. "Die Eltern handeln dabei aus der Überzeugung heraus, dass sie angesichts ihrer Lebenserfahrung besser bewerten könnten, was für ihre Kinder gut ist." Der Druck, der dabei ausgeübt wird, sei mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt.

"Ehrenmorde sind eine große Ausnahme"

Was geschieht, wenn die Töchter mit der Entscheidung ihrer Eltern unglücklich sind? "Hier kommt es - wie bei anderen Themen auch - darauf an, wie die Familie mit Konflikten umgeht - das ist in deutschen Familien ja nicht anders. Dort, wo generell keine Dialoge stattfinden, wo nicht verhandelt, sondern mit Gewalt agiert wird, kann so eine Frage schnell zur Machtprobe führen", so Karakasoglu. Es kommt zu Schlägen und Übergriffen. "Und wenn dieser Konflikt eskaliert, kann es zu Morddrohungen bis hin zu Ehrenmorden kommen. Das aber ist nicht die Regel - das ist die absolute Ausnahme." Karakasoglu ist sich sicher, dass der Großteil der türkischen Community die Morde im Namen der Familienehre nicht gut heißt. Genau diese Akzeptanz werde allerdings durch den Begriff der "Ehrenmorde" suggeriert, kritisiert die Professorin.

Ausnahme seien die Fundamentalisten. Doch genau genommen, gebe ihnen nicht einmal der Islam Recht. "Grundsätzlich sieht der Koran vor, dass Menschen in einer Ehe leben, ihre Wünsche ausleben, ihre Sexualität erleben. Und es gilt als gottgefällig, wenn man einen Mann und eine Frau zusammenbringt. Was nicht gottgefällig ist, ist, wenn man das tut, ohne den Wunsch des Mannes oder der Frau zu respektieren", erläutert Karakasoglu.

"Die breite Masse braucht andere Hilfe"

Die Professorin verfolgt besonders seit dem Tod der jungen Türkin Hatan Sürücü am 7. Februar 2005 die öffentliche Diskussion und die Forderungen der Politik, die dem Thema Zwangsehe große Aufmerksamkeit schenkt. "Doch das Hauptproblem junger Migranten ist das Thema Zwangsehe mit Sicherheit nicht", ist sich Karakasoglu sicher. "Ich halte das Ganze für eine verlogene Ersatzdiskussion. Die breite Masse der Zuwanderer braucht ganz andere Hilfen zur Integration. Es gibt im Bereich der sozialen, beruflichen und schulischen Integration massive Probleme, die gelöst werden müssten. Ich wünschte mir, hier würde die Politik ansetzen, nach Lösungen zu finden."