Colani-Ufo in Lünen

Satelliten-TV für Migranten

Deutschtürkische Sender für die Integration

Stand: 22.11.2006, 06:00 Uhr

Über die Satellitenschüsseln kommt nicht nur das Fernsehen aus der alten Heimat: In einem Ex-Autohaus in Duisburg und einem Designer-Ufo in Lünen sitzen TV-Sender, die ihr Programm für türkisches Publikum in Deutschland machen.

Von Fiete Stegers

Das Ufo schwebt fast 40 Meter über dem Boden: Als Zeichen des Strukturwandels wurde das von Designer Luigi Colani entworfene Ei in den Neunziger Jahren auf einen alten Förderturm in Lünen aufgesetzt. In den luftigen Büroräumen des Ufos ist jetzt die Zentrale von Düzgün TV. Seit September strahlt der Sender sein türkischsprachiges Programm aus. Zielgruppe: türkische Migranten in Deutschland und den Nachbarländern.

Improvisation, Lärm und Döner-Kalender

"Sechs, sieben Stunden eigenes Programm machen wir schon pro Tag", sagte Gesellschafter Cagdas Düzgün, während er durch die Redaktionsräume führt. In denen wirkt bis auf die Computer-Schnittplätze und Großbildschirme noch manches improvisiert. Ikea-Möbel mit deutlichen Gebrauchsspuren stehen neben nagelneuen Schreibtischen; der Aschenbecher könnte mal wieder gelehrt werden - obgleich der Sendername auf deutsch "aufgeräumt" bedeutet. Mehrfach unterbricht Düzgün die Redaktionsführung, weil sein Handy klingelt oder er etwas anderes klären muss. Irgendwo säuselt eine Sängerin eine türkische Ballade, woanders wird lautstark telefoniert. An der Wand hängt ein Kalender des Döner-Unternehmens von Vater Hidir Düzgün. Die Firma finanziert den Sender, der derzeit rund 15 Angestellte und eine größere Anzahl freier Mitarbeiter hat.

"Wir machen das für eine bessere Integration"

Ein einsamer Techniker überwacht gerade im Regieraum des einzigen Studios die Ausstrahlung einer Talk- und Ratgeber-Sendung für Frauen aus einer Kulisse in orange. Neben türkischen Musikclips und Unterhaltungssendungen aus der Konserve setzten die Macher von Düzgün TV auf eigenproduzierte Informations-, Service- und Ratgebersendungen, die sich um den türkischen EU-Beitrittwunsch oder den Umgang mit Behörden in Deutschland drehen. Auch ein Deutsch-Kurs des Goethe-Instituts soll ausgestrahlt werden. "Wir machen das für eine bessere Integration", sagt Düzgün.

Konkurrent im Autohaus

Ein ähnliches Sendekonzept hat der Sender Kanal Avrupa, der bereits seit Anfang 2005 aus einem alten Autohaus in einem Duisburger Industriegebiet sein Programm ausstrahlt. Auch hier stand ein mittelständischer Unternehmer hinter dem Konzept, der Musikproduzent Ali Pasa Akbas. "Wir sind der Sender für die Deutschtürken", betont sein Senderleiter Seran Sargun, Chef von 45 Mitarbeitern. Stolz ist er auf eine Nachmittagssendung, die sich ausdrücklich an Hausfrauen wendet, die kaum Deutsch sprechen, weil sie erst durch Heirat mit einem hier lebenden Mann nach Deutschland gekommen sind: "Häufig haben sie außer ihrem Mann gar keinen Bezugspunkt und wissen noch nicht, wie der Alltag in Mitteleuropa funktioniert. Aber das sind die Frauen, die Kinder erziehen. Sie müssen wir erreichen, wenn wir den Deutschtürken westliche und europäische Werte näherbringen wollen", erläutert Sargun. Der Senderleiter freut sich nach eigener Aussage zwar, dass es mit Düzgün TV nun einen weiteren Sender mit ähnlichem Ansatz gibt - obwohl Düzgün TV seiner Meinung nach einiges von Kanal Avrupa abgekupfert habe.

Ein breites kulturelles und politisches Spektrum

"Beide Sender greifen Migrationsthemen auf, etwa die Jugendarbeitslosigkeit, aber auch Schwierigkeiten beim politischen Umbruch in der Türkei", beobachtet Cengiz Yildirim vom Essener Zentrum für Türkeistudien: "Auf dem Bildschirm sind Menschen zu sehen, die in Deutschland groß geworden sind. Mit ihnen können sich die Zuschauer identifizieren." Ein häufig benutztes Format sind abgefilmte Podiumsdiskussionen oder Talkshows, nicht selten mehrstündig. "In der Breite kann man solche Fragen anderswo gar nicht diskutieren", sagt Murad Bayraktar von der türkischen Redaktion von Funkhaus Europa, der Integrationswelle des WDR. Viele Akteure vor der Kamera seien deutschtürkische Politiker oder Vereinsvertreter, die Sender selbst Teil der Community, für die sie berichten. "Gerade das kann manchmal dazu führen, das sie etwas einseitig sehen. Andererseits bemühen sie sich ein breites kulturelles und politisches Spektrum innerhalb der türkischen Community abzubilden", meint Bayraktar.

Mehr deutsche Politiker und deutsche Sprache?

Beide Sender wollen sich aber auch um deutsche Politiker bemühen - Integrationsminister Armin Laschet war bei Kanal Avrupa bereits zu Gast - und perspektivisch mehr deutsch senden. Das Programm von Kanal Avrupa und Düzgün TV ist bisher fast ausschließlich türkisch. In Sachen Integration sei dies "ein Defizit", meint Wissenschaftler Yilderim. "Die Sprache ist das einzige Mittel, den Leuten ihre Identität zu vermitteln", hält Senderleiter Sargun dagegen. "Vielleicht können wir ja irgendwann auch deutsch senden - oder wir werden ganz überflüssig." Andererseits verweist er auf den Erfolg von spanischsprachigen Fernsehsendern für Einwanderer in den USA.

Sender als teures Zuschussgeschäft

So weit ist es in Deutschland noch nicht. Verlässliche Zuschauerzahlen werden nicht erhoben, es gibt nur allgemeine Angaben zur Fernsehnutzung der türkischen Migranten. Einziger Reichweiten-Indikator ist für Cagdas Düzgün, wie oft die Homepage seines Senders angegklickt wurde: "Das ist für uns der Hinweis, dass es läuft", sagt der Jung-Fernsehmacher, der vor dem Senderstart noch keinerlei Erfahrung und jetzt bereits hinter als auch vor der Kamera stand. Was er auch sagt: "Wir haben so viel investiert, wir können nicht zurück." Bisher sind ihre Sender für die Geldgeber Düzgün und Akbas ein teueres Zuschussgeschäft. "Wir brauchen Werbung. Es fehlen Unternehmen, die an die Zielgruppe der Deutschtürken glauben", klagt Cagdas Düzgün. Das sogenannte Ethnomarketing wird erst langsam entdeckt - obwohl die Deutschtürken als konsumfreudige Zielgruppe gelten.