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Zehn Jahre Funkhaus Europa

Radio-Programm für die ganze Bevölkerung

Stand: 02.09.2009, 02:00 Uhr

Am 5. Mai 1999 ging WDR Funkhaus Europa auf Sendung. Zum zehnjährigen Jubiläum spricht Programm-Chefin Jona Teichmann im WDR.de-Interview über Integration und unterschiedliche Blickwinkel in der Berichterstattung.

WDR.de: Welche Rolle spielt Funkhaus Europa bei der Integration von Einwanderern?

Jona Teichmann: Wir benutzen den Begriff Integration nicht gerne. Die Debatte in Deutschland ist sehr oft ausgrenzend gewesen, wenn von Integration die Rede war. Deswegen stößt das vielen Leuten unangenehm auf, obwohl der Begriff an sich in Ordnung ist. Wenn ich von Integration rede, meine ich nicht nur, dass sich Einwanderer integrieren sollen. Vielmehr sollen sich alle hier lebenden Menschen in diese sich verändernde Gesellschaft integrieren. Das gilt auch für geborene Deutsche. Dazu können wir beitragen, weil wir eben nicht nur Einwanderer als Radiopublikum haben. Das ist etwas, was oft missverstanden wird. Wir sind nicht das Programm für "die Ausländer". Wir sind ein Radioprogramm, das Leute aus der ganzen Bevölkerung hören, weil sie die Musik oder unseren internationalen Blickwinkel gut finden. Darunter sind natürlich auch viele Einwanderer.

WDR.de: Wie zeigt sich das in der Programmgestaltung?

Teichmann: Unser Ziel ist es, aus der Einwanderungsgesellschaft von innen zu berichten. Es geht dabei um die Perspektive in der Berichterstattung. Es verändert sich etwas, wenn ich nicht mehr den Blickwinkel habe: Wir sind die Mehrheitsgesellschaft, ihr seid die Minderheit. Wir berichten deshalb aus der Perspektive: Wir sind zusammen eine Gesellschaft mit ganz unterschiedlichen Menschen und Einflüssen. Wir bemühen uns, bei Themen, die alle angehen, einen etwas anderen Blickwinkel reinzubringen. Journalistisch gesprochen machen wir sehr viel vergleichende Berichterstattung. Wir gucken in andere Länder: Gibt es die Abwrackprämie auch woanders? Oder: Welche Erfahrung machen andere mit dem Fach Englisch in der Grundschule? Wir lassen auch internationale Journalisten, die in Deutschland leben, aktuelle Debatten kommentieren.

Nach wie vor ist es in der allgemeinen deutschen Berichterstattung so, dass Einwanderer nicht so häufig vorkommen, wie sie eigentlich müssten, wenn man ihren Anteil an der Bevölkerung sieht. Und wenn, dann kommen sie in relativ festgelegten Rollen vor: als Opfer, als Täter, als Problem, als Exot. Es gibt nach wie vor viele Klischees. Wir bemühen uns konsequent, Einwanderer bei allen Themen vorkommen zu lassen, ob es um die neue Schuhmode oder die Brötchenpreise geht.

WDR.de: Sind ausländische Radioprogramme, die auch in Deutschland empfangen werden können, für Funkhaus Europa eine Konkurrenz oder eine Ergänzung?

Teichmann: Sie sind eine Konkurrenz, wenn jemand den ganzen Tag türkische Musik oder Balkanmusik hören will. Das können wir nicht bedienen. Inhaltlich gesehen sind heimatsprachige Medien für uns keine echte Konkurrenz. Denn wir haben auf Satellitenempfang und Internetradios mit Programmanpassungen reagiert. In den Muttersprachen-Sendungen können wir uns auf eine Community konzentrieren und das anbieten, was die anderen nicht leisten können. Wir liefern für Themen aus der Heimatregion den Hintergrund - oft journalistisch unabhängiger und weniger regierungsnah als Radio in diesen Ländern. Darüber hinaus bieten wir viel Service, weil die Leute das Kleingedruckte aus bestimmten Lebensbereichen gerne noch einmal in ihrer Muttersprache hören. Etwa Änderungen beim Steuer- und beim Mietrecht. Zudem berichten wir über Menschen aus der Community: Wer kriegt einen Preis? Wer wird ein Star? Das, was wir thematisch machen, kann kein Medium tun, das hier reinstrahlt.

WDR.de: Seit Anfang des Jahres ist Funkhaus Europa auch in Berlin und Brandenburg zu hören. Was sind nach diesem Meilenstein die nächsten Projekte?

Teichmann: Das war für uns eine schwierige Situation. Einerseits waren wir sehr enttäuscht, dass Radio Multikulti vom RBB dicht gemacht wurde. Andererseits steckte für uns darin auch eine große Chance. Wir versuchen jetzt, auch das Berliner Sendegebiet gut abzudecken, ohne dass wir aber unsere Leute zwischen Rhein und Ruhr vernachlässigen.

Ich kann mir aber vorstellen, dass wir in Zukunft weniger ein Nachrichten- und Informationsprogramm sind, sondern mehr die Emotion und das Lebensgefühl ansprechen. Dabei könnten Musik, Moderation und der Dialog mit den Hörern eine größere Rolle spielen. Bei der Musik sind wir den anderen ja jetzt schon immer ein Stückchen voraus. Wir haben Manu Chao gespielt, als den hier noch keiner kannte. Und wir waren die ersten, die in diesem Sendegebiet über Balkanpartys berichtet haben. Diese Entdecker- und Scoutfunktion wollen wir beibehalten.

Das Interview führte Dominik Reinle.