Gangster, Geiseln - Gladbeck

Ein Verbrechen wird live gesendet

Stand: 12.06.2006, 06:00 Uhr

Am 16. August 1988 überfielen zwei Männer eine Bank in Gladbeck. Ihre Flucht wurde zum umstrittenen Medienereignis. WDR-Autor Michael Gramberg zeigte 2006 in "Gladbeck - Dokument einer Geiselnahme" auch bisher unveröffentlichtes Filmmaterial.

Als "Gladbecker Geiseldrama" sind die Ereignisse vom 16. bis 18. August 1988 in die bundesdeutsche Geschichte eingegangen. Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner gaben Interviews, hielten ihren Geiseln vor laufenden Kameras Schusswaffen an den Kopf und erzählten, dass ihnen ihr Leben nichts wert sei.

Hans-Jürgen Rösner gibt mit einer Waffe in der Hand ein Interview

Bildmaterial in Dokumentation verarbeitet

Doku zeigt unveröffentlichte Aufnahmen

Mit zwei Geiseln aus einer Bank in Gladbeck fuhren die Gangster damals nach Bremen. Dort kaperten sie einen mit 30 Personen besetzten Bus und erschossen einen 15-jährigen Jungen. Die Flucht ging weiter in die Niederlande, wo während der Verfolgung ein Polizist bei einem Unfall ums Leben kam. Zuletzt standen die Täter mit einem neuen Fluchtwagen und noch zwei Geiseln in der Kölner Innenstadt. Von dort versuchten sie zu entkommen. Als das Spezialeinsatzkommando der Polizei den Fluchtwagen rammte, starb eine der Geiseln. Die Obduktion ergab, dass die 18-Jährige durch eine Kugel aus Rösners Pistole getroffen wurde.

Aus dem umfangreichen Bildmaterial deutscher Fernsehsender hat WDR-Autor Michael Gramberg eine 90-minütige Dokumentation zusammengestellt. Sie enthält auch bisher unveröffentlichte Aufnahmen. Das WDR Fernsehen zeigt das "Dokument einer Geiselnahme" am Freitag, 16. August 2013, 23.15 Uhr. WDR.de sprach mit dem Autor, Michael Gramberg.

WDR.de: Was ist neu an der Dokumentation?

Michael Gramberg: Es sind vor allem Verlängerungen der Szenen, die damals im Fernsehen gezeigt wurden. Zu den beiden großen Ereignissen, einmal in Bremen, wo die Geiselnehmer den Bus in Besitz genommen haben, und dann später in Köln, gab es ja sehr viel Material, das in den aktuellen Sendungen nicht untergekommen ist. Das haben wir gesichtet und dabei beeindruckende Szenen gesehen, die bisher unbekannt waren.

WDR.de: Die große Bedeutung dieser Geiselnahme rührt daher, dass es eine solche Situation noch nicht gegeben hatte?

Gramberg: Weder vorher noch nachher. Es hat ja danach wirklich eine Bewusstseinsbildung sowohl bei schreibenden als auch elektronischen Medien gegeben. So etwas ist meines Wissens danach nicht mehr passiert.

WDR.de: Die Mutter der erschossenen weiblichen Geisel hat Ihnen in der neuen Fassung der Dokumentation erstmals ein Interview gegeben ...

Gramberg: Ja, allerdings nur im Ton. Sie wollte keine Kamera dabei. Sie hat für die Dokumentation ihr Einverständnis gegeben, dass der Name und die Bilder ihrer Tochter - so grausam das auch ist - noch einmal aus den Archiven geholt werden dürfen, um zu dokumentieren, was passiert ist. Sie war der Meinung, dass das ihre Trauer etwas erleichtert. Für sie ist das noch nicht beendet, weil sie es immer noch nicht begreifen kann. Und sie wollte einfach verstehen, warum die Polizei derartig versagen konnte. Deshalb sollten wir das aufarbeiten.

WDR.de: Sehen Sie in dem Film denn nun einen Abschluss?

Gramberg: Ja. Aus den Archiven wird, was das Dokumentarische angeht, nicht mehr viel herauszuholen sein. Ich glaube, dass wir so gut wie alles gesehen haben, weil wir auch Material von den privaten Fernsehanstalten bekommen haben, die damals ja noch in den Kinderschuhen steckten. Ich will nicht bestreiten, dass man einige Fragen noch intensiver verfolgen kann - etwa die Entscheidungsstruktur der Polizei. Aber ich fand, dass das Archivmaterial derartig faszinierend und erschreckend ist, dass man eigentlich nur die Bilder zeigen muss. Dann stellt sich jeder die Frage: Das kann doch alles nicht möglich gewesen sein! Ich stelle in dem Film eher Fragen, als Antworten zu geben. Da gibt es keine Antworten - außer den Ausreden der Polizei, die sich nicht verantwortlich fühlt.

WDR.de: Was ist aus der zweiten weiblichen Geisel geworden, die bis zum Schluss in der Gewalt der Gangster war?

Gramberg: Sie ist ja verletzt worden. Nicht sehr stark, obwohl das zunächst so aussah. Sie hat direkt hinterher ausgesagt. Dann ist es um sie immer stiller geworden. Ich habe versucht, sie zu bekommen, aber sie wollte nicht.

WDR.de: Ist die Dokumentation für Sie auch Mittel zu zeigen, was falsch verstandener Journalismus anrichten kann?

Gramberg: Ich glaube nicht, dass der Film an irgendeiner Stelle den Zeigefinger hebt. Bei der Sichtung des Archivmaterials bin ich einmal ausgerastet, als ein Journalist sich am Auto in Köln gegenüber Passanten als Ordnungshüter aufspielte. Ansonsten habe ich mir immer die Frage gestellt: Wie hätte ich mich verhalten? Wo hätte ich gesehen, dass die Grenze überschritten ist? Ich wage nicht, einem der Kollegen von damals ernsthafte Vorwürfe zu machen. Heute sagen die ja auch: Mensch, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich es nicht gemacht.

Was ich noch viel schlimmer fand, als die Interviews, in denen den Geiseln die Pistolen an den Kopf gehalten wurden, war, wie die Presse sich bei den Standortwechseln der Gangster benommen hat. Wenn sie im Auto unterwegs waren. Besonders auf der Autobahn von Bremen Richtung Holland, als die Polizei nicht in die Nähe des Busses kam, weil die Presse sie richtig abgedrängt hat.

WDR.de: Glauben Sie denn, dass es heute von Seiten der Journalisten anders liefe?

Gramberg: Ich glaube, dass es bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht mehr so leicht passieren würde. Bei den kommerziellen und deren Konkurrenzkampf halte ich es für möglich. Und ich glaube nicht, dass die Moral der Presse sich verbessert hat. Wenn es darum geht, die besten Bilder zu haben, um das Blatt besser verkaufen zu können, sind die Leute zu allem bereit.

Das Gespräch führte Katja Goebel.