Udo Herterich

Studie und Selbsthilfeprojekt in NRW

Contergan-Opfern wirksamer helfen

Stand: 16.05.2011, 12:15 Uhr

In NRW leben 800 Contergangeschädigte. Mit steigendem Alter machen ihnen die Folgen ihrer Missbildungen täglich mehr zu schaffen. Ein Forschungsprojekt soll dazu beitragen, Betroffene besser zu behandeln und zu versorgen.

Von Stefanie Hallberg

Udo Herterich hat keine Beine. Die Füße sind eng an den Körper gewachsen und etwas nach innen gebogen. Er sitzt im Rollstuhl. Was für andere selbstverständlich ist, fällt Menschen wie ihm schwer: beispielsweise sich zu waschen und anzuziehen, zu kochen oder einzukaufen. Heute sind die Contergan-Opfer um die 50 Jahre alt. Zu den Problemen, den Alltag zu bewältigen, kommen Folgeschäden durch die körperliche Mehrbelastung hinzu, die das Leben mit missgebildeten Gliedmaßen oder Schäden an inneren Organen mit sich bringt. Das kann ein verschlissener Rücken sein, chronische Schmerzen, Existenzängste durch vorzeitige Erwerbsunfähigkeit oder soziale Probleme. Wie sich all das auf die Lebenssituation der Betroffenen auswirkt und was sie zu einer optimalen Versorgung brauchen, ist bislang wenig bekannt.

Bessere Konzepte zur Behandlung und Versorgung

"Wir brauchen endlich eine angemessene und am Bedarf der Geschädigten orientierte Unterstützung", sagte Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne). Sie hat am Montag (16.05.11) ein zweijähriges Forschungsprojekt vergeben, um die Langzeitauswirkungen der Behinderungen und die Spätschäden eingehend zu untersuchen. Ziel ist, neue und verbesserte Konzepte für die Behandlung und Versorgung der Betroffenen zu entwickeln.

Persönliches Gutachen für jeden Teilnehmer

Für die Studie sollen etwa 200 Contergangeschädigte aus NRW in der Doktor Becker Rhein-Sieg Klinik ausgiebig medizinisch und psychologisch untersucht werden. Die Klinik plant das erste Contergan Kompetenzzentrum bundesweit. Dort erhalten dann alle Studienteilnehmer ein persönliches medizinisches Gutachten für ihre weitere Behandlung. Bereits seit dem Jahr 2000 bietet der Chefarzt der Klinik, Klaus M. Peters, in Nürmbrecht eine Spezialsprechstunde für Betroffene an, die der Interessenverband Contergangeschädigter in NRW initiiert hat.

Betroffene loben Konzept

Deren Vorsitzender Herterich ist mehr als zufrieden, dass Gesundheitsministerin Steffens der Rhein-Sieg Klinik den Zuschlag gegeben hat. "Doktor Peters ist einer der wenigen Experten für Conterganschäden weltweit. Er hat schon mehr als 80 Betroffene behandelt, und es gab immer nur positive Rückmeldungen." Das sei wichtig, weil viele Contergangeschädigte negative Erfahrungen mit Ärzten gemacht hätten und sich oft als Studienobjekte fühlten. "Dieser Forschungsauftrag ist für uns alle ein Gewinn." Der Rösrather unterstrich, die Ministerin habe bei der Vergabe des europaweit ausgeschriebenen Auftrags den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen Rechnung getragen. "Wir sind hier auf Augenhöhe verstanden worden - was bislang eine Ausnahme war." Behörden und Politiker hätten meist über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden.

Landesweites Netzwerk geplant

Der Interessenverband will nun gleichzeitig mit einem eigenen Projekt starten, das durch Gelder zweier Stiftungen gefördert wird. Es soll Contergangeschädigten die Teilnahme an dem Forschungsvorhaben ermöglichen, beispielsweise indem sie zu Terminen gefahren werden. In erster Linie soll aber allen Betroffenen Direkthilfe vor Ort angeboten werden. Das "Peer-To-Peer"-Projekt ist als Hilfe zur Selbsthilfe angelegt. Speziell geschulte Personen, die selbst durch Contergan geschädigt sind, unterstützen mit ihrem Wissen andere Betroffene wohnort- und lebensnah. Diese Peers helfen, geeignete Ärzte oder psychologische Betreuung zu finden. Sie beraten bei Rentenanträgen, Fragen häuslicher Pflege bis hin zur Verbesserung des Wohnumfelds. Innerhalb von zwei Jahren soll ein Netzwerk aus ehrenamtlichen Helfern, Ärzten, Krankenhäusern, Rehakliniken und Ansprechpartnern aller Art entstehen, die mit den speziellen Problemen Contergangeschädigter vertraut sind. Herterich erklärt: "So können viele von uns die Aufgaben und Hürden, Ängste und Probleme, die im Alter sicherlich zunehmend vor uns liegen, selbstbestimmt angehen."