Rita Süssmuth und zwei Mitstreiterinnen

Abgeordnete feiern im alten Plenarsaal

Das war toll, damals, im Bundestag!

Stand: 07.09.2009, 19:35 Uhr

60 Jahre Bundestag: Das sind nicht nur Tausende von Anträgen und Reden, das sind vor allem Aberhunderte von Abgeordneten - eine sehr bunte Schar. Am 7. September 2009 trafen sich Freunde und Gegner von einst in Bonn.

Von Marion Kretz-Mangold

Die Wiedersehensfreude ist schon vor der Tür nicht zu überhören. "Nein, du hier!" "Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen!", schallt es aus Dienstwagen mit dem "B" im Kennzeichen und aus Bussen heraus. Vor dem Behnisch-Bau, dem einstigen Plenarsaal in Bonn, liegen sich Männer und Frauen in den Armen. Der Deutsche Bundestag feiert seinen 60. Geburtstag, und die Parlamentarier feiern mit - dort, wo die "Bonner Republik" ihren Anfang nahm.

Die Stadt des Neuanfangs

Rita Süßmuth ist auch gekommen, selbstverständlich. "Manche sagen, muss so eine Feier sein? Doch!" 10 Jahre war die CDU-Frau Bundestagspräsidentin, damals, als Deutschland wiedervereinigt und Berlin Hauptstadt wurde. Bonn stehe für den gelungenen Neuanfang nach 1945, erzählt sie, "die Stadt hat Entscheidendes geleistet für die Rückgewinnung des Vertrauens." Für mehr hat sie jetzt keine Zeit, sie muss ein Fernsehinterview geben und dann schnell in den Plenarsaal. "Guten Morgen, Frau Künast", sagt sie im Vorbeigehen. Die Grünen-Chefin stutzt, blickt kaum von ihrem Laptop auf: "Guten Morgen - Haben wir noch Morgen?" Offensichtlich beschäftigt sie etwas ganz anderes.

Ein Hauch von Hektik und Bedeutsamkeit

Blick in den Bonner Plenarsaal

Ein Hauch von Hektik

Ehemalige und Aktive unter einem Dach - das ist Geschichte hier, Tagesgeschehen dort. Afghanistan ist das Thema an diesem Morgen, man merkt es an den Grüppchen, die zusammen stehen: Steinmeier, Struck und Jung an einem Ende des Saales, Trittin und Künast am anderen. Große Politik im Hohen Haus, das keines mehr ist, ein Hauch von Hektik und Bedeutsamkeit. Auch Angela Merkel ist da und doch wieder nicht - vielleicht, weil sie an die Regierungserklärung zu Afghanistan denkt, die sie morgen abgeben will.

"Na, du alter Räuber"

Buch 'Die Volksvertretung'

Sicher ist sicher

Die Ehemaligen wirken da geradezu entspannt, flachsen herum: "Du warst doch in dieser Teppichhändlerrunde ...", ist da zu hören und "Na, du alter Räuber". Gemeinsame Nächte in langen Ausschusssitzungen schweißen offensichtlich zusammen, Parteigrenzen spielen keine Rolle mehr. Und so nehmen die meisten fraktionsübergreifend in bunter Reihe Platz, bewaffnet mit dem "Volksvertreter"- Buch - für den Fall, dass der Name zum Gesicht doch fehlt.

Kein Büro, aber Leidenschaft

Rita Süßmuth lauscht der Rede von Norbert Lammert

Mit Vorgänger und Nachfolger

Rita Süßmuth findet sich unversehens auf der Regierungsbank wieder, gleich neben Philipp Jenninger. Den hat sie 1988 abgelöst, weil er eine mehr als unglückliche Rede zur Reichspogromnacht gehalten hatte und als Bundestagspräsident nicht mehr tragbar war. Eine von vielen Geschichten, die ihr Nach-Nachfolger Norbert Lammert hätte erzählen können. Aber in seiner Rede erzählt er lieber von der "Erfolgsgeschichte", von den guten ökonomischen, politischen und sozialen Bedingungen, für die in Bonn die Grundlagen gelegt wurden. Und er erinnert an die Anfänge der Bonner Republik, in denen Abgeordnete kein Büro, nur ein Schließfach bekamen und Briefe auf dem Flur diktiert werden mussten.

Die Gäste im Plenarsaal sind viel zu jung, um das selbst miterlebt zu haben. Die meisten können sich ja gar nicht vorstellen, dass ein Waschbecken mit fließend kaltem Wasser in den Siebzigern noch ein Luxus war - und lachen ungläubig. Aber Rita Süßmuth nickt nachdenklich. "Die Abgeordneten waren damals leidenschaftlich beseelt", hat sie vorher gesagt - leidenschaftlich und auch kantiger. "Die gibt es heute auch, aber sie treten nicht so in Erscheinung, ich weiß auch nicht, warum." Dass sie selber auch in den eigenen Reihen als unbequem galt, schlimmer noch, als "rotes Tuch", weiß sie wohl.

"Wir sehen uns!"

Davon ist draußen vor dem Saal nichts zu merken: Verbeugungen, Handküsse, Umarmungen für die "Frau Präsidentin". Die eilt von Grüppchen zu Grüppchen, schwelgt ein bisschen in Erinnerungen ("Das war toll, diese Zusammenarbeit"), macht ein Quäntchen Politik ("Das Thema Migration liegt mir sehr am Herzen") und berät ein wenig ("Nimm dir eine Auszeit - aber nur Freizeit ist nichts"). Aber dann muss sie wieder weiter, nach Göttingen, wo sie über Migrantinnen sprechen soll. Auch die anderen Ehemaligen haben Termine: "Bis zum nächsten Mal", "wir sehen uns", schallt es durch das Foyer. Merkel, Künast und Jung sind da längst schon weg.