Jüdische Gemeindemitglieder tragen am 01.02.07 die Thorarollen in die neue Gelsenkirchener Synagoge

Nach Attacken auf Juden in Berlin

Demonstration in Köln gegen antisemitische Gewalt

Stand: 08.09.2012, 17:30 Uhr

Die Attacke auf einen Rabbiner und Pöbeleien gegen jüdische Schülerinnen in Berlin rief Demonstranten in Köln auf den Plan. Am Samstag (08.09.2012) protestierten sie gegen antisemitische Gewalt. In NRW gab es allein im ersten Halbjahr 2012 knapp 100 Straftaten aus Judenhass.

Von Martin Teigeler

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Nach Polizeiangaben demonstrierten 60 bis 70 Menschen in der Innenstadt friedlich gegen antisemitische Gewalt. Veranstalter waren mehrere gegen Antisemitismus engagierte Bürger. Wie aus dem Demo-Aufruf hervorgeht, wurde ganz bewusst der Samstag als Veranstaltungstag gewählt: "Es ist Aufgabe von uns Nichtjuden, aufzustehen gegen Gewalt an unseren jüdischen Mitbürgern. Während unsere jüdischen Mitbürger Sabbat feiern, treten wir für ihre Rechte ein." Für gläubige Juden ist Samstag - der Sabbat - der Ruhetag der Woche.

Rabbiner krankenhausreif geschlagen

Auslöser der Demonstration sind die antisemitischen Vorfälle in Berlin. Ende August wurde dort ein Rabbiner krankenhausreif geschlagen. Nach Angaben der Polizei handelte es sich bei den Angreifern, die flüchten konnten, mutmaßlich um Jugendliche mit arabischem Hintergrund. Zudem wurde eine Gruppe von 13 Schülerinnen einer jüdisch-orthodoxen Schule von vier Mädchen angepöbelt.

In Nordrhein-Westfalen lag die offizielle Zahl der antisemitischen Straftaten im Jahr 2011 bei insgesamt 242. Im ersten Halbjahr 2012 lag sie bei 98, darunter waren fünf Gewaltdelikte, wie das Düsseldorfer Innenministerium mitteilte. In 90 Fällen handelte es sich bei den Tatverdächtigen um Rechtsextremisten.

Beleidigungen und Körperverletzungen

In mehreren Fällen wurden Bürger jüdischen Glaubens Opfer von Beleidigungen. Es kam laut Polizeistatistik zu drei Körperverletzungen. Neonazis schändeten jüdische Friedhöfe und verbreiteten antisemitische Hetzschriften. Eine jüdische Gedenkstätte im westfälischen Beckum wurde mehrfach beschmiert. Ein Sprecher der Jüdischen Gemeinde Köln berichtete von Grabschändungen in der Vergangenheit. Vorfälle wie in Berlin seien in Köln aber "nicht vorgekommen, zumindest sind sie bei uns nicht bekannt geworden".

Aus anderen Gemeinden hieß es hinter vorgehaltener Hand, man wolle antisemitische Zwischenfälle aus Furcht vor Nachahmungstätern nicht an die große Glocke hängen. Gläubige Juden vermeiden es demnach oft, nach außen hin als Juden erkennbar zu sein. Etliche Beleidigungen tauchten nicht in den Polizeiberichten auf, da sie gar nicht gemeldet würden.

Zwei Männer tragen eien Kippa

Juden tragen auf der Straße oftmals aus Furcht vor Angriffen lieber keine Kippa

"Es ist schon so, dass die wenigsten Juden in der Öffentlichkeit mit der Kippa rumlaufen", sagte Grigory Rabinovich, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen. Von gewalttätigen Attacken sei man in Bochum "bis jetzt verschont geblieben". Vor längerer Zeit sei das Auto eines Rabbiners mit einem Hakenkreuz beschmiert worden.

Streit zwischen Muslimen und Juden

Da beim Angriff auf den Berliner Rabbiner möglicherweise Muslime die Täter waren, streiten islamische und jüdische Verbände seit Tagen öffentlich. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, appellierte an die Muslim-Verbände, sie müssten Antisemitismus stärker entgegentreten. Vertreter islamischer Organisationen verbaten sich dies. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland mit Sitz in Köln, Aiman Mazyek, aber sagte jetzt laut einem Zeitungsbericht, er finde das Anliegen Graumanns "richtig und wichtig".

Der Bochumer Rabinovich beobachtet wachsende Aggressionen bei muslimischen Jugendlichen gegen Juden: "Das ist oft auch ein Bildungsproblem." Der Sprecher des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, Levi Salomon, sagte, unter jungen Libanesen und Palästinensern sei Antisemitismus weit verbreitet. Sie würden von ihren Eltern instrumentalisiert und von arabischen Medien irregeführt.

Antisemitismus laut Studie weit verbreitet

Die Grünen warnen vor einer Verengung der Debatte auf muslimische Antisemiten. "Ohne Frage gibt es in der Einwanderungsgesellschaft leider auch antidemokratische und antisemitische Tendenzen. Straftaten mit antisemitischem Hintergrund sind fast ausschließlich politisch rechts motiviert", sagte die Grünen-Landtagsabgeordnete Verena Schäffer. "Dabei kann der Ansatz nicht darin liegen, die Sichtbarkeit des jüdischen Lebens einzuschränken, sondern ihr Schutz und die Bekämpfung antisemitischer Einstellungen müssen im Vordergrund stehen", mahnte die Politikerin.

Eine bundesweite Studie war im Januar 2012 zu dem Ergebnis gekommen, dass 20 Prozent der Gesamtbevölkerung "latent" antisemitisch eingestellt sind. In NRW leben etwa 30.000 Menschen jüdischen Glaubens.

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