Passanten am Kölner Hauptbahnhof

Übergriffe auf Frauen in Köln

Von der Hoffnung, endlich gehört zu werden

Stand: 12.01.2016, 16:39 Uhr

  • Die Ereignisse an Silvester in Köln werden weiterhin breit diskutiert.
  • Es geht bei der Debatte oftmals um die Täter.
  • WDR.de hat Frauenorganisationen nach der Perspektive der Betroffenen gefragt.

Von Nina Giaramita

Über eines sind sich alle Frauenorganisationen einig: Endlich, so scheint es momentan, wird das Thema Gewalt gegen Frauen ernst genommen. Elisabeth Fassbender vom Kölner Frauenberatungszentrum fasst es so zusammen: "Es ist gut, dass dieses Thema nun in den Fokus der Öffentlichkeit geraten ist, und auch die politische Diskussion über die Rechte der Frauen wieder angestoßen wurde." Eine "hohe Sensibilität" gegenüber der Problematik hat auch Elisa Brökling von der Frauenberatungsstelle FrauenLeben festgestellt. Damit hänge auch die "hohe Anzeigebereitschaft der Frauen" zusammen - "wichtig, um das Ausmaß der Taten in der Silvesternacht sichtbar zu machen". Dass Betroffene sexuelle Übergriffe zur Anzeige bringen, ist nach Erfahrung der Frauenorganisationen keine Selbstverständlichkeit. "Es gibt jeden Tag jede Menge Übergriffe. Das war auch vor dem 31. Dezember schon so, aber ganz oft werden diese Taten nicht angezeigt" sagt Irmgard Kopetzky. Sie ist langjähriges Mitglied des Kölner Vereins "Frauen gegen Gewalt". Der Verein bietet deutschlandweit den dienstältesten Frauennotruf an. Bereits 1978 wurde er auf Initiative einer Rechtsanwältin gegründet.

Frauen wurden in der Vergangenheit nicht ernst genommen

Frau mit Poster vor Hauptbahnhof "Nein heißt Nein! Das ist unser Gesetz! Bleibt uns vom Leib!"

Frauen demonstrieren in Köln nach den Ereignissen an Silvester

Viel Erfahrung mit dem Thema hat auch Beshid Nahjafi. Sie ist stellvertretende Geschäftsführerin von agisra. Die Kölner Beratungsstelle richtet sich speziell an Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen und besteht seit 1993. Im Lauf ihrer 20-jährigen Beratungstätigkeit hat die Pädagogin oft erleben müssen, dass "die Justiz gegenüber Frauenthemen nicht sensibel" reagiere. "Die Beweislast liegt bei sexuellen Gewalterfahrungen bei den Frauen. Damit werden sie aber noch mal zu Opfern gemacht", so Beshid Nahjafi. Hinsichtlich der Übergriffe in der Silvesternacht hätten die betroffenen Frauen es jedoch leichter. Durch die vielfältige Berichterstattung seien die Tatumstände klar - daher seien die Opfer glücklicherweise nicht gezwungen, die Taten selbst unter Beweis stellen zu müssen. In der Vergangenheit, so die Beobachtung von Irmgard Kopetzky, war es jedoch weitaus schwieriger, sich Gehör zu zu verschaffen und ernst genommen zu werden: "Frauen, die in der Öffentlichkeit angegegrapscht wurden, sind von der Polizei oft mit der Bemerkung abgewiesen worden, dass doch nichts passiert sei."

Furcht vor Instrumentalisierung des Themas

Sexuelle Belästigung ist bisher tatsächlich nicht strafbar. Inzwischen hat Bundesjustizminister Maas (SPD) jedoch erklärt, dass diese Lücke im Sexualstrafrecht geschlossen werden müsste. Frauenorganisation fordern das bereits seit Jahren. "Wir erwarten, dass die Politik dafür sorgt, dass Frauen sich in öffentlichen Räumen angstfrei bewegen können", sagt Elisabeth Fassbender vom Kölner Frauenberatungszentrum. Jedes Jahr demonstrieren Frauenorganisationen bundesweit für dieses Recht. Erst vor einigen Monaten marschierten auch in Köln Frauen durch die Innenstadt - unter dem Motto "Wir fordern die Nacht zurück!". Angesichts der Ereignisse in Köln dürfte dieser Marsch in diesem Jahr noch mehr Gehör finden. Die Frauenrechtlerinnen hoffen jedoch, dass das Thema sexualisierte Gewalt nun nicht nachhaltig von den falschen Gruppen instrumentalisiert wird. "Das besorgt uns sehr", sagt Behshid Najafi. "Weil die Täter nichtdeutscher Herkunft sind, haben Pegida und AfD jetzt die Frauenrechte für sich entdeckt", stellt sie mit Ärger in der Stimme fest. Auch Irmgard Kopetzky vom Kölner Frauennotruf befürchtet, dass die Diskussion eine "gefährliche Richtung" einschlägt. Dann würden die Frauen, die an Silvester Opfer von Übergriffen geworden sind, "wiederum benutzt".

"Uraltes Thema" Sexualstraftaten

Frauen tanzen während der Protestaktion "One Billion Rising"; Rechte: pa/dpa/Suna

Tanzen gegen Gewalt: One Billion Rising

Ohnehin will keine der Frauen nun ein pauschales Urteil fällen - und ein fragwürdiges Frauenbild von Seiten der mutmaßlich ausländischen Täter als alleinige Ursache ins Auge fassen. "Es ist sicher so, dass wir hier in Deutschland ein größeres Bewusstsein für die Gleichberechtigung von Frauen haben" sagt Elisa Brökling vom Verein FrauenLeben. "Denoch ist sexuelle Gewalt ein uraltes Thema. Damit sind wir natürlich auch hier in Deutschland seit Jahrzehnten konfrontiert." Auch Frauenrechtlerin Irmgard Kopetzky kann nach vielen Jahren Beratungstätigkeit am Telefon bestätigen, "dass wir nicht nicht sagen können, in Deutschland war vorher alles ganz wunderbar". "Ich bekomme von Taten zu hören, die ganz gruselig sind", sagt sie, "und diese Taten werden von Deutschen begangen, die hier sozialisiert sind." Elisabeth Fassbender vom Frauenberatungszentrum fügt jedoch hinzu, dass einige der hier ankommenden Männer "einfach etwas lernen müssen" - man könne nicht verneinen, dass die Übergriffe "auch etwas mit dem Frauenbild dieser Männer zu tun" haben.

Zu wenig Frauenhäuser in Köln

Beshid Nahjafi weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass man bei der momentanen Diskussion nicht die alleinreisenden Flüchlingsfrauen außer Acht lassen dürfe. "Es gibt in den Flüchtlingsheimen kaum sichere Räume für Frauen", sagt sie. Dabei haben die Frauen dort natürlich auch unter sexuellen Übergriffen zu leiden. Erst vor einigen Tagen, erzählt sie, kam eine schwangere Frau in die agisra-Beratungsstelle. "Ihr ist Gewalt zugefügt worden, aber ich musste sie wieder in die Sporthalle, ihre momentane Unterkunft, zurückschicken. Einen Platz im Frauenhaus konnte ich ihr leider nicht verschaffen." In der Millionenstadt Köln gibt es zwei Frauenhäuser, die jeweils ein Dutzende Betroffene aufnehmen können. "Wir fordern seit Jahren ein drittes Haus", konstatiert Beshid Nahjafi. "Und die zuständigen Beratungsstellen sind allesamt unterfinanziert", sagt sie - man hört heraus, dass dieser Umstand der eigentliche Skandal für die Pädagogin ist. Dass "Fraueneinrichtungen immer als erstes von Kürzungen betroffen sind", ist auch die Erfahrung von Irmgard Kopetzky vom Frauennotruf. Ihr Fazit: "Diese Einrichtungen leisten unglaublich viel, aber sie bekommen unglaublich wenig Unterstützung."