Polizeibeamte suchen auf einem Feld bei Grefrath

Fünf Jahre nach Mircos Verschwinden

"Bringt nichts, daran kaputtzugehen"

Stand: 03.09.2015, 14:04 Uhr

Ein Kind verschwindet, bleibt monatelang vermisst, bis klar ist: Es lebt nicht mehr, wurde ermordet. Fünf Jahre ist es her, dass der 10-jährige Mirco aus Grefrath nicht nach Hause kam. Wie gehen die Eltern heute damit um?

Sandra und Reinhard Schlitter erzählen im Gespräch mit der Lokalzeit aus Düsseldorf von ihrem Schicksal:

Wie haben Sie das verarbeitet?

Reinhard Schlitter: Unsere Familie, die Gemeinde, die Freunde, die Arbeit. Alles hat eine Rolle gespielt. Das gehört alles ja auch irgendwie zusammen. Das kann man nicht trennen. Und dann natürlich noch die persönliche Einstellung und Haltung. Für uns ist daher Gott auch ein wichtiger Halt.

Was hat sich seitdem verändert?

Sandra Schlitter: Generell ist das immer noch präsent, aber gewisse Bereiche haben sich verändert. Über die Beerdigung, über die Suche. Das hat Abstand bekommen – aber nicht so, dass man es vergisst. Das wird nicht klappen. Aber es tritt eine Phase ein, wo man sagt ok, das ist nicht mehr aktuell.

Haben Sie bestimmte Rituale entwickelt, um sich zu erinnern?

Sandra Schlitter: Wir haben uns das nicht auf einen bestimmten Tag gelegt, an dem wir uns erinnern. Das kommt im Alltag immer wieder Mal vor, wenn wir zusammensitzen. Auch durch unsere Kinder oder die Kinder meines Bruders werden wir immer wieder erinnert. Es wird blasser alles und hallt alles nicht mehr so hart nach. Aber es kommen auch andere Zeiten, wo man extremer nachdenkt.

Woran denken Sie dann?

Sandra Schlitter: Oft denken wir darüber nach: was wäre denn jetzt mit ihm. Was hätte er jetzt gemacht. Er wäre ja jetzt in die weiterführende Schule gekommen. Was hätte er also für einen Weg eingeschlagen? Wo hätte er gestanden? Was wäre aus ihm geworden? Hätte er vielleicht eine Freundin mal mitgebracht? Das ist schon komisch.

Wie gehen Sie heute damit um?

Reinhard Schlitter: Wenn man jetzt sagen könnte, dass es dafür eine plausible Erklärung gibt… Aber es gibt ja eigentlich keinen Grund, so etwas zu tun. Also das hat mit einem normalem Leben ja nichts zu tun. Aber trotzdem wäre es gut, irgendwann ein Geständnis zu bekommen. Bis jetzt hat der Täter es zwar noch nie abgestritten, aber eben auch noch nicht richtig zugegeben.

Sandra Schlitter: Und im Endeffekt müssen wir auch sagen, dass wir mit allem erfolgreich umgegangen sind. Wir haben uns keine Schuld zugewiesen. Wir haben viel darüber nachgedacht, reflektiert und miteinander gesprochen. Das haben wir intuitiv gemacht damals. Aber aus der heutigen Sicht… Klar, wir hätten auch daran zerbrechen können. Aber es ist nicht so gekommen.

Wie geht es ihren anderen Kindern heute?

Reinhard Schlitter: Also vor allem für die Jüngste war das nochmal eine harte Zeit, als sie zehn wurde. Also so alt war wie Mirko. Da hat sie dann auch vom "Täterjahr" gesprochen. Wir haben uns dann natürlich gefragt, wie gehen wir damit um und haben ihr natürlich Mut gemacht, dass das nicht nochmal so passieren wird. Als sie dann elf geworden ist, hat sie einen Tag vorher gesagt: "Morgen ist das Täterjahr vorbei." Da hat Opa ihr eine große Party versprochen. Und danach wurde es dann auch besser für sie…

…heute ist sie vierzehn…

Sandra Schlitter: …genau. Und klar es gab dann bis heute auch nochmal Tiefs, wo wir immer wieder mal geweint haben…

Reinhard Schlitter: Aber letztendlich wissen wir, dass das stattgefunden hat. Aber es soll nicht den Alltag komplett beherrschen. Es bringt ja nichts, daran kaputtzugehen. Das will keiner.

Sandra Schlitter:  Und daher fahren wir auch immer wieder zu Vorträgen und erzählen von unsere Erfahrungen. Das würden wir nicht machen, wenn wir damit nicht umgehen könnten.

Das Gespräch führte Catrin Risch