Kleiner Grenzverkehr

Mein Leben auf der anderen Seite

Stand: 13.10.2015, 08:06 Uhr

Eine Straße in Richtung Niederlande, morgens um acht. Alle, die hier unterwegs sind, ob mit Auto, Bus oder Fahrrad, fahren ins Nachbarland. Das gleiche Bild auf der Gegenfahrbahn, und auch in Richtung Belgien. Einkaufen, wohnen, die Familie besuchen, studieren – Alltag in der Grenzregion rund um Aachen.

Der kleine Grenzverkehr kennt keine Grenzen – oder doch?
Wer sind all diese Menschen, die tagein, tagaus über die Grenze pendeln? Warum fahren sie in ein anderes Land? Was suchen – oder finden – sie  dort? Und wo erleben sie Unterschiede, Schwierigkeiten, Bereicherungen?
Wir haben uns unter die Pendler gemischt, eine Woche lang. Und einige von ihnen haben uns unterwegs spontan ihre Geschichte erzählt. Im Bus, in der Bahn, im Auto. Sie haben uns mitgenommen, und manchmal durften wir sie sogar noch ein Stück in ihrer Welt begleiten.

Teil 1: Dennis, Erzieher
Deutsche Kinder betreuen – ein Kinderspiel?

Dennis wohnt in Vaals. Eigentlich wollte der 29-Jährige in den Niederlanden als Erzieher arbeiten. Doch weil er dort keine Stelle fand, bewarb er sich in Aachen – und wurde genommen. Jeden Morgen pendelt er mit dem Auto von Vaals nach Aachen. Und wir dürfen mitfahren. „Ich finde, dass die deutschen Kinder weiter entwickelt sind als die niederländischen. Sie werden früher selbständig, weil sie in Deutschland oft schon sehr früh in die Kindertagesstätte gehen. Das ist in den Niederlanden nicht selbstverständlich.“, erzählt Dennis uns auf seiner Fahrt nach Aachen. Und, was er sonst noch in seinem Alltag auf der anderen Seite der Grenze erlebt.

Teil 2: Claudia und Marie, Studentinnen
Abenteuer Ausland! Zum Studium in die Niederlande

Wir treffen Claudia und Marie am Aachener Hauptbahnhof, morgens um halb acht. Die beiden warten auf die Euregiobahn Richtung Heerlen. Denn dort studieren sie seit fünf Wochen Logopädie. „Ich hatte vor allem Angst vor der fremden Sprache!“, erzählt Claudia uns in der Bahn. Ein Niederländisch-Crashkurs hat ihr und ihrer Freundin Marie geholfen. Die beiden sind stolz, dass sie den Schritt gewagt haben, im Ausland zu studieren. Und weil es ihnen an der Uni so gut gefällt, beschließen wir, sie spontan dorthin zu begleiten. Und lauschen unserer ersten Vorlesung auf niederländisch.

Teil 3: Anna, Niederländerin auf dem Weg nach Aachen
Die blinde Passagierin

11 Uhr 29, Bahnhof Heerlen. Anna Linckens sitzt allein in einem Abteil der Euregiobahn Richtung Aachen. Als wir sie fragen, ob wir sie auf ihrer Fahrt über die Grenze begleiten dürfen, freut sie sich. Die Niederländerin ist auf dem Weg zur Aachener Stadtbibliothek. Ein Blindenhund liegt zu ihren Füßen. „Bitte nicht streicheln oder ansprechen! Er ist gerade im Dienst!“, warnt sie uns. Auch seinen Namen dürfen wir nicht erfahren; er könnte sich dadurch ablenken lassen. Dass die beiden ein eingespieltes Team sind, erleben wir, als wir sie wenig später durch die Aachener Innenstadt begleiten – und ziemlich außer Puste geraten.

Teil 4: Elisabeth und Louis, Ehepaar aus Eupen
„In Eupen ist einfach nix mehr los – schade!“

Elisabeth und Louis haben sich auf diesen Tag gefreut. Einmal im Monat fahren sie zum Bummeln nach Aachen. Denn in ihrer Heimatstadt Eupen gebe es immer weniger Geschäfte, erzählt das Rentnerehepaar. Das sei nicht immer so gewesen. 40 Jahre leben sie jetzt schon in Eupen, beide sind in Belgien geboren, und mit der Grenze vor der Haustür aufgewachsen. Unterschiede zwischen den Menschen gibt es nicht, findet Elisabeth: „Auf beiden Seiten gibt es solche und solche. Da gucke ich gar nicht nach!“ Aber die Printen, die schmecken in Aachen einfach besser. 

Teil 5: Charles Osagie alias DJ IKE
Ein DJ sucht die belgische Ruhe

DJ Ike heißt eigentlich Charles Osagie und wartet in Kelmis auf den Bus Richtung Aachen. Dort will er im Copyshop Eintrittskarten drucken für sein Konzert Ende der Woche in Athen. „Ok. Kommt mit.“, sagt er nach einigem Zögern. Unterwegs erzählt uns der gebürtige Nigerianer, dass er in den letzten 20 Jahren auch in den Niederlanden und in Deutschland gelebt hat; aber nie war es so schön ruhig wie jetzt im belgischen Moresnet. Wenn er von seiner Tournee nach Hause komme, freue er sich auf die Stille. In zwei Tagen hat er einen Auftritt in Griechenland, dann in Italien. Spürt er als Weltenbummler eigentlich noch Grenzen? Nein. Europa, das ist sein zu Hause.