Stichtag

27. April 2010 - Vor 35 Jahren: Gaddafi stellt "Grünes Buch" vor

Das Sauerland ist 1987 Schauplatz eines Skandals: Der Eishockey-Club ECD Iserlohn plant Trikotwerbung für das umstrittene "Grüne Buch" von Muammar al Gaddafi. Der libysche Revolutionsführer will dem finanziell angeschlagenen Verein im Gegenzug 1,5 Millionen Mark bezahlen. Doch Gaddafi ist Ende der 1980er Jahre weltweit politisch geächtet: Wegen seiner Unterstützung des internationalen Terrorismus' hat der Westen 1986 ein Wirtschaftsembargo gegen das Land verhängt. Den Deal eingefädelt hat unter anderem der Bauunternehmer und ECD-Vorsitzende Heinz Weifenbach. Doch das Geld von Libyens Staatschef trifft nicht rechtzeitig ein. Die Eishockey-Spieler des ECD Iserlohn werben nur in einem Spiel für das "Grüne Buch".

Anspruch auf Allgemeingültigkeit

Das "Grüne Buch" enthält Gaddafis sogenannte Dritte Universaltheorie: sein Gegenentwurf zu Kapitalismus und Kommunismus - mit dem Anspruch weltweiter Gültigkeit. Am 27. April 1975 erläutert Gaddafi im staatlichen Rundfunk erstmals sein neues Konzept der politischen Mitbestimmung des Volkes. Er wendet sich darin gegen die repräsentative Demokratie westlicher Staaten: Mehrheitsentscheidungen bei Wahlen führten "zu einem diktatorischen Regierungsorgan", das die unterlegene Minderheit der Wähler nicht vertrete. Parlamente lehnt er ab, weil sie dem Volk das Recht auf Mitwirkung nähmen. Ähnlich argumentiert Gaddafi, der sich 1969 an die Macht geputscht hat, gegen Parteien. Im "Grünen Buch" propagiert er stattdessen: "Volkskongresse sind das einzige Mittel zum Erreichen einer Volksdemokratie." Jeder Libyer und jede Libyerin soll sich demnach in sogenannten Basisvolkskonferenzen engagieren und "Volkskomitees" wählen, die als Exekutive an die Entscheidungen der Basis gebunden seien. Mit der "Deklaration der Volksautorität" vom März 1977 werden Gaddafis Ideen umgesetzt.

In über 50 Sprachen übersetzt

Gaddafis System hat jedoch einen Haken: Von der offiziellen Linie abweichende Meinungen sind nicht vorgesehen. Denn aus militanten Gaddafi-Anhängern werden "Revolutionskomitees" gebildet, um die Basiskonferenzen zu kontrollieren. Zahlreiche Oppositionelle werden umgebracht. Die Errichtung der Volksherrschaft im Sinne Gaddafis macht Libyen zu einem Überwachungsstaat. 1981 gründet Gaddafi das "Weltzentrum für die Studien und Forschungen zum Grünen Buch". Die Propaganda-Behörde hat inzwischen Niederlassungen unter anderem in Ghana und Indien. Das "Weltzentrum" lässt das "Grüne Buch" in über 50 Sprachen übersetzen. Die erste deutsche Ausgabe bringt es auf gerade einmal 140 Seiten im Kleinformat DIN A6. Bis heute bestimmt das "Grüne Buch" zusammen mit dem Koran die gesellschaftliche Ordnung Libyens. Das Land hat derzeit keine gültige Verfassung.

Stand: 27.04.10