Stichtag

16. Januar 2010 - Vor 35 Jahren: Auswandererschutzgesetz wird verabschiedet

Rund zwei Millionen Westdeutsche kehren zwischen dem Kriegsende 1945 und dem Beginn der 1970er Jahre ihrer Heimat den Rücken. Vielen gelingt in Übersee oder einem anderen europäischen Land der Start ins neue Leben. Viele müssen aber auch, reicher nur an bitteren Erfahrungen, mit den letzten Ersparnissen nach Deutschland zurückkehren. Ihre Auffangstation sind Notaufnahmelager und staatliche Fürsorge. Doch in den Jahren, in denen die Nachkriegsauswanderung ihren Höhepunkt erreicht, ist das Schicksal der Emigranten in der Politik kein Thema. Zu groß ist insgeheim die Sorge, der Auswanderung durch eine rechtliche Klärung zusätzlichen Anreiz zu verschaffen. Erst als bei stetig wachsendem Wohlstand die Auswanderungszahlen deutlich zurückgehen, beschäftigt sich auch der Deutsche Bundestag mit dem Problem. Am 16. Januar 1975 verabschiedet das Parlament das "Gesetz zum Schutze der Auswanderer" (AuswSG).

Kurz Auswandererschutzgesetz genannt, löst es ein altes Reichsgesetz von 1898 und die sogenannte "Mißstände-Verordnung" aus dem Jahr 1924 ab. Ein wichtiger Bestandteil ist der Schutz der Emigranten vor Schleusern und windigen Werbern. So regelt das Gesetz, dass Beratungsstellen für Auswanderer nur noch mit behördlicher Genehmigung arbeiten dürfen. Jede kommerzielle Werbung für die Auswanderung wird verboten. Für den Abschluss von Beförderungsverträgen darf weder eine Prämie noch eine andere Vergünstigung gewährt oder angenommen werden. Auch ausländische Regierungen sowie internationale Unternehmen dürfen die Passage weder finanzieren noch ein Darlehen dafür gewähren. Eignern von Schiffen und Flugzeugen, die gegen die Bestimmungen verstoßen, drohen bis zu 20.000 D-Mark Geldbuße. Doch bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens am 1. Mai 1975 beurteilen Fachleute das neue Gesetz sehr kritisch. Es orientiere sich an einem inzwischen völlig überholten Auswanderer-Typus, lautet das einhellige Fazit der führenden Emigrationsexperten.

Seit dem 17. Jahrhundert hatten die Menschen in den allermeisten Fällen notgedrungen, auf der Flucht vor Elend oder politischer Verfolgung, ihr Glück in der unbekannten Ferne gesucht. Von habgierigen Agenten mit fantastischen Versprechungen in die Neue Welt gelockt, gerieten sie dabei mitunter sogar in die Fänge skrupelloser Menschenhändler. Nach wochenlangen Passagen an Bord abgetakelter Schiffe, eng zusammengepfercht in choleraverseuchten Unterdecks, konnten sie froh sein, ihr Ziel überhaupt lebend zu erreichen. Der typische Auswanderer des ausgehenden 20. Jahrhunderts dagegen verlässt Deutschland nicht aus Not. Es sind vor allem gut ausgebildete Naturwissenschaftler, Ärzte und Selbstständige, die auf der Suche nach einem noch besseren Leben zunehmend das Land verlassen.

Angesichts des "Exodus der Hochqualifizierten" fordert der renommierte Osnabrücker Migrationsforscher Klaus Bade einen grundsätzlichen Perspektivwechsel: von der überkommenen Auswanderungs- zu einer sinnvollen Einwanderungspolitik. "Bei denjenigen, die hochqualifiziert zu uns kommen, erkennen wir die Erfahrungen nicht an", klagt Bade. "100.000 Feststoffphysiker, Architekten und Ärzte fahren in Deutschland Taxi oder sind Hausmeister."

Stand: 16.01.10