Stichtag

3. November 1954 – Henri Matisse stirbt bei Nizza

Am Beginn der künstlerischen Arbeit von Henri Matisse steht die Krankheit. 1890 muss er mit einer langwierigen Blinddarmentzündung das Bett hüten. Da schenkt ihm seine Mutter zum Zeitvertreib einen Malkasten. Sofort ist der 21-Jährige ganz vernarrt in dieses pure Rot und Gelb und Grün und Blau. "Von dem Augenblick, als ich den Malkasten in der Hand hielt, wusste ich, dass dies mein Leben war", wird er sich später erinnern.

Die Liebe zu den reinen Farben wird Matisse bis zu seinem Tod begleiten. Die Maler des Impressionismus wollten das Sonnenlicht auf ihre Leinwand bannen. Bei Matisse sollen die Farben aus sich selbst heraus leuchten wie tausend Sonnen. Mit seinen flächig-abstrakten, poetisch-tanzenden Farbfiguren wird der Künstler zum wichtigsten Vertreter des französischen Fauvismus – auch wenn seine "wilden" Bilder in einem Akt strenger Disziplin mit einem klar strukturierten Tagesablauf entstehen.

"Primitiv, grotesk, barbarisch"

Geboren wird Matisse 1869 in Le Cateau-Cambrésis. Eigentlich soll er die Samenhandlung seiner Eltern übernehmen. Matisse aber entscheidet sich 1887 für ein Jurastudium in Paris. Zwei Jahre später bricht er ab, um zunächst als Anwaltsgehilfe zu arbeiten. 1898 heiratet er Amélie Parayre, mit der er eine Tochter und zwei Söhne bekommt. Auf Anraten des Künstlerkollegen Camille Pissarro verbringt er die Flitterwochen in London, um dort die Malerei William Turners zu studieren.

1905 hat Matisse mit den Malern André Derain und Maurice de Vlaminck seine erste Ausstellung, 1910 präsentiert er sein berühmtes Gemälde "Der Tanz", das einen Reigen in sich versunkener rotbrauner Frauenfiguren vor einer in Blau und Grün geteilten Fläche zeigt. "Primitiv, grotesk, barbarisch" lautet das fast einhellige Urteil der Kritiker. Wie wilde Tiere ("fauves") sähen die Bilder aus, urteilt einer – und gibt der Bewegung damit ungewollt den Namen.

1912 reist Matisse nach Marokko, 1930 nach Tahiti. Vor allem die strahlenden Farben dieser Reisen regen den Maler zu vielen seiner Gemälden an. Wie ein jagender Fischer in den Korallenbänken der Südsee, so geht Matisse nun "auf Farben aus", wie er es nennt. Als er in den 30er Jahren bereits so krank ist, dass er seine Zeit vor allem in Bett und Rollstuhl verbringen muss, holt sich Matisse die leuchtende Unterwasserwelt Tahitis mit langen Pinseln in Quallen- und Korallenformen an die Wände seiner Wohnung.

Zeichnen mit der Schere

1938 bezieht Matisse seine Wohnung im ehemaligen Hotel Régina bei Nizza. Zwei Jahre zuvor hat er den Scherenschnitt als Kunstform entdeckt. Blumen und Blätter, Seilchen springende Frauen und schwimmende Männer, Seesterne und Algen tauchten auf diese Weise plötzlich aus dem Meer der Farben auf. Je älter der Künstler wird, desto größer wird seine Lust am Ausschneiden. Oft sitzt Matisse Nächte lang in seinem Rollstuhl inmitten von Papierschnipseln und schiebt die Formen hin und her, bis sich ein Bild ergibt, das ihm gefällt. Wie ein Musiker komponiert Matisse seine Bilder in freien Assoziationen. Als er 1944 beschließt, seine Scherenschnitte in einem Buch herauszugeben, nennt er es deshalb "Jazz".

In seiner Kunst geht es Matisse vor allem um die Ausgewogenheit der Formen. "Ich träume von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe", wird er einmal sagen. "So etwas wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich erholen kann." Henri Matisse stirbt am 3. November 1954 in Cimiez bei Nizza. In seinem Geburtsort wird später ein Musée Matisse mit Werken des Künstlers eingerichtet.

Stand: 03.11.2014

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