Stichtag

8. Februar 1994 - Tod des Komponisten und Erfinders Raymond Scott

Der Sohn russischer Einwanderer wird am 10. September 1908 als Harry Warnow in New York geboren. Im Musikgeschäft seiner Eltern verbringt Harry mit dem älteren Bruder Mark seine ganze Jugend. Während Mark Geigenunterricht bekommt, bringt sich Harry selbst das Klavierspielen bei. Vor allem aber faszinieren ihn Aufnahmegeräte und Mikrofone. Durch Vermittlung seines Bruders erhält er eine Anstellung als Pianist in der Hausband der US-amerikanischen Radiogesellschaft CBS. Seinen Künstlernamen Raymond Scott findet Harry im Telefonbuch von Manhattan.

Gelangweilt, immer die gleichen Hits und Standards zu spielen, gründet der junge Musiker mit den markanten Segelohren 1936 seine eigene Sechs-Mann-Band, die er aber sonderbarerweise Raymond Scott Quintette tauft. Ihre Musik ist neu, anders, einfach und komplex zugleich: ungewohnte Klangfarben und Harmonien, eingängige Melodien, plötzliche Tempowechsel, rasende Bläserläufe und Trommelfiguren. Die Titel lauten: "Neujahrsnacht in einem verwunschenen Haus", "Dinner-Music für einen Haufen hungriger Kannibalen" oder "Twilight in Turkey".

Cartoon-Komponist wider Willen

Nach drei Jahren löst Scott die Band 1939 auf und verkauft alle Musikrechte an die Filmfirma Warner Brothers. Jahre später sucht man dort Musiktitel für die neuen "Looney-Tunes",  Zeichentrickfilme mit Bugs Bunny, Roadrunner und Co. Scotts Stücke passen perfekt zu deren irrwitzigen Verfolgungsjagden. Allein das Stück "Powerhouse" ist in über 100 Trickfilmen zu hören. So wird Raymond Scott als Cartoon-Komponist legendär - aber ahnt davon jahrelang nichts, denn er hasst Cartoons und sieht sich nie welche an.

Ab den 40er Jahren wird Scott als Chef der Band einer TV-Show zum Fernsehstar. Mit seiner zweiten Frau, der Sängerin Dorothy Collins, zieht er in eine riesige Villa auf Long Island. Er erfindet und baut elektronische Musikmaschinen, groß wie Schränke, mit tausenden Schaltern und Relais. "Das gesamte Erdgeschoss war ein einziges, fantastisches Musik-Labor, wo er alle diese neuen Sounds erfand. Es war wie im Labor eines verrückten Wissenschaftlers", erinnert sich Scotts Sohn Stan. Auf seinen futuristischen Maschinen, die er Videola, Karloff und Clavivox tauft, kann der Tüftler unzählige Klänge und Effekte erzeugen und speichern.

Paranoider Geheimniskrämer

Scott revolutioniert die Musik in der Werbung und erhält hoch dotierte Aufträge von großen US-Konzernen. Sein Geld steckt er fast vollständig in seine Erfindungen. Eine Million Dollar und über 10 Jahre Arbeit investiert er allein in das Electronium. Die Klangmaschine wird nicht mit einer Tastatur gespielt, sondern programmiert und verarbeitet die Töne mit einer Art Zufallsgenerator. So kann das Electronium eigenständig komponieren.

Der Komponist und Erfinder zieht sich immer mehr in sein Klanglabor zurück und entwickelt ständig neue Ideen: ein Radio mit Sendesuchlauf, einen elektronischen Gong für China-Restaurants, programmierbare Klingeltöne. Scott baut auch ein Faxgerät. Leider kann er niemandem etwas schicken, denn außer ihm hat noch keiner ein Fax. Wie seine Maschinen funktionieren, hält er geheim, es gibt weder Baupläne noch Patente. Scott hat Angst, dass man ihm seine Erfindungen stiehlt; wahrscheinlich ist er inzwischen paranoid.

Am Ende seines Lebens experimentiert der Sonderling allein in seinem "Cockpit of dreams", meistens im Schlafanzug. Als die ersten Musik-Computer und digitalen Keyboards auf den Markt kommen, ist seine Zeit endgültig vorbei, man hat ihn längst vergessen. Raymond Scott stirbt am 8. Februar 1994 in Kalifornien. Erst heute entdeckt eine weltweite Fangemeinde den genialen Komponisten und Pionier der elektronischen Musik wieder.  

Stand: 08.02.2014

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