Mann in gelbem Messerschmidt Kabinenroller, frontal fotografiert

Stichtag

19. März 1953 - Vorstellung des Messerschmitt Kabinenrollers

"Wer die Gefahr nicht scheut, fährt Lloyd", witzeln die Deutschen über den neuen Kleinwagen Lloyd 300 der Borgward Autowerke. Der berüchtigte "Leukoplastbomber" eröffnet 1950 die kurze Ära der mehr oder weniger skurrilen Kleinstautos, mit denen sich im beginnenden Wirtschaftswunder auch "kleine Leute" günstig den Traum vom eigenen Wagen erfüllen können.

An Frotzeleien müssen sich auch die stolzen Besitzer eines Messerschmitt Kabinenrollers gewöhnen. Das im März 1953 auf der Automobilausstellung in Frankfurt präsentierte Dreirad - zwei Räder vorn, eins hinten - wird als "Schneewittchensarg" legendär. Nicht wenige Zeitgenossen fühlen sich durch die tandemartig unter einer klappbaren Plexiglashaube sitzenden Kabinenroller-Passagiere eher an „Menschen in Aspik“ erinnert.

Halb so teuer wie ein Käfer

Das ursprünglich offen und als muskelbetriebener Einsitzer für Gehbehinderte konzipierte Gefährt stammt aus der Erfinderwerkstatt von Fritz Fend. Als der Rosenheimer Konstrukteur seinem "Fend-Flitzer" einen 9-PS-Motor verpasst, übersteigt die Nachfrage schnell dessen Produktionskapazität. Im einstigen Flugzeugbauer Messerschmitt, dessen Werkshallen in Regensburg seit Kriegsende brach liegen, findet Fend einen interessierten Investor und Hersteller.

Firmenchef Willy Messerschmitt veranlasst Fend, das Kriegsversehrten-Mobil zum Zweisitzer ausbauen, um den boomenden Markt der Kleinstwagen zu erobern. "Raum ist in der kleinsten Hütte", lobt die Wochenschau den zigarrenförmigen Winzling, der beim Frankfurter Autosalon sogar amerikanischen Luxuskarossen die Schau stiehlt. Mit 2.100 D-Mark kostet der Messerschmitt Kabinenroller KR 175 nur die Hälfte eines VW-Käfers. Auf Rückwärtsgang und elektrische Scheibenwischer müssen die Käufer allerdings zunächst verzichten. Dafür wird der etwas komplizierte Einsteigevorgang in der Bedienungsanleitung genauesten in acht Schritten beschrieben.

Begehrte Rarität bei Oldtimer-Fans

35 Sekunden braucht der KR 175 mit seinem Einzylinder-Zweittaktmotor, um auf die Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern zu "beschleunigen". Vor allem unter Zweiradfahrern, die endlich auch bequem im Trockenen sitzen möchten, findet der Kabinenroller schnell 10.000 Käufer im In- und Ausland. Das wesentlich verbesserte Nachfolgemodell KR 200 rollt sogar rund 30.000 Mal vom Band - wahlweise auch als Cabrio. Der Erfolg des Kabinenrollers lockt neue fantasievolle Anbieter ins Kleinstwagengeschäft. 1955 kommen das Goggomobil aus Dingolfing und die liebevoll "Knutschkugel" genannte Isetta von BMW auf den Markt.

Die kurze Karriere des Kabinenrollers ist Anfang der 60er Jahre schon wieder vorbei. Warb die Messerschmitt-Reklame früher: „Ich fahre in die Welt hinein, ob Regen, Sturm, ob Sonnenschein", so bevorzugen die Deutschen nun bei gestiegenem Wohlstand "richtige" Autos – mit richtigem Lenkrad, statt eines halbkreisförmigen Steuerknüppels wie im Kabinenroller. Heute, 50 Jahre nach seinem Produktionsende, zählt das ausgefallene Nachkriegs-Notvehikel zu den seltensten und gefragtesten Oldtimern. 30.000 Euro und mehr zahlen Sammler für einen der wenigen gut erhaltenen "Schneewittchensärge".

Stand: 19.03.2013

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