Die österreichischen Schriftsteller Ernst Jandl und Friederike Mayröcker erhalten für ihr Hörspiel "Fünf Mann Menschen" den Hörspielpreis der Kriegsblinden vom Vorsitzenden des Bundes der Kriegsblinden Franz Sonntag (r) am 22. April 1969 in Bon

Stichtag

9. März 1952 – Hörspielpreis der Kriegsblinden erstmals verliehen

Stand: 09.03.2012, 00:00 Uhr

Robert Schoen fühlt sich wie ein Hochstapler. 2010 hat er zusammen mit Lorenz Eberle für den Hessischen Rundfunk (HR) das Hörspiel "Schicksal, Hauptsache Schicksal" nach Motiven aus Joseph Roths Novelle "Die Legende vom heiligen Trinker" produziert; und wird im mitgeteilt, dass er dafür den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhalten soll: wie vor ihm so bedeutende Autoren wie Günter Eich, Wolfgang Hildesheimer, Ingeborg Bachmann, Friederike Roth, Christoph Schlingensief oder Elfriede Jelinek.

"Ich dachte, ich kann in dieser Reihe überhaupt nicht stehen", beschreibt Schoen den Schock der Auszeichnung. "Ich bin Lichtjahre entfernt von den Namen." Und doch hat Schoens "Schicksal, Hauptsache Schicksal" alles, um die Auszeichnung zu verdienen. Es wurde ein Jahr vor der Verleihung von einem öffentlich-rechtlichen Sender ausgestrahlt und bei der Jury eingereicht. Und es ragt aus der Hörspielproduktion von 2010 heraus.

Kulturmedium Radio

Der Hörspielpreis der Kriegsblinden ist ein Produkt der Nachkriegszeit. Deutschland liegt in Trümmern, Theater und Kinos in Schutt und Asche. Zeitungen und Bücher sind rar, Fernseher haben die Wohnstuben noch nicht erobert. Es ist die Blütezeit des Radios: ein unter Hitler weit verbreitetes Medium, dass dem vom Nationalsozialismus geprägten Land neue Akzente geben soll.

Als Kunstform prägt sich in dieser Zeit das Hörspiel aus. Der endgültige Boom der Gattung wird mit der Ausstrahlung von Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" eingeleitet, das den Fokus auch auf die Kriegsheimkehrer lenkt. Das Hörspiel braucht dringend eine Auszeichnung.

Das eigene Leben verstehbar machen

Die Idee zum Hörspielpreis der Kriegsblinden hat der Journalist, Schriftsteller und Pressereferent beim "Bund der Kriegsblinden", Friedrich Wilhelm Hymnen, der im Zweiten Weltkrieg selbst kurzzeitig das Augenlicht verloren hat. Er stellt eine Jury aus Betroffenen und professionellen Kritikern zusammen, die den Preis am 9. März 1952 erstmals verleiht.

Bezeichnenderweise geht er nicht an das heute noch bekannte, ästhetisch spielerische Bewerber-Stück, Günter Eichs "Träume", das verschiedene Menschenschicksale über Stimmen miteinander verzahnt, sondern an Erwin Wickerts eher konventionelles Hörspiel "Darfst Du die Stunde rufen", das sich um Freitod und Sterbehilfe dreht. Gesucht ist nämlich laut der Vereinszeitschrift "Der Kriegsblinde" jenes Hörspiel, das vom Menschlichen her uns anredet und uns Hilfe gibt, mit dem Dasein besser fertig zu werden oder die Aufgaben und Zusammenhänge unseres eigenen Lebens besser zu verstehen“.

"Spontan und kindlich"

Der Lebenshilfe-Anspruch an die Preisträger ändert sich erst allmählich, namentlich mit Stücken wie "Fünf Mann Menschen" von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, dem Preisträger von 1969. In der 14-minütigen Produktion sind alle Erzählstrukturen radikal aufgebrochen. Nicht zuletzt Initiator Hymmen sieht in dieser Entwicklung die Gefahr des Hörspiels, "sich selber umzubringen".

Trotzdem wird in den Gewinnerstücken des Hörspielpreiseses der Kriegsblinden seitdem immer wieder mit der Form experimentiert – so auch im Gewinnerstück von 2011, "Schicksal, Hauptsache Schicksal", für das Robert Schoen und Lorenz Eberle jene Plätze aufgesucht haben, die für Roths Novelle ausschlaggebend waren. Neben Musik besteht es nur aus O-Tönen. Die künstlerische Arbeit bestand für Schoen vor allem darin, „Spontan und kindlich auf das angebotene Material zu reagieren“.

Stand: 09.03.2012

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 9. März 2012 ebenfalls an die erste Verelihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden. Auch das "Zeitzeichen" gibt es als Podcast.