Stichtag

19. Dezember 2006 - Vor 110 Jahren: Geburt des Jongleurs Enrico Rastelli

Manche Artisten können Menschen derart begeistern, dass ihr Name zum Inbegriff höchster Kunst wird. Harry Houdini, der Entfesselungskünstler, hat das geschafft, der große Clown Grock mit seinem "Nit möööglich", und auch der Jongleur Enrico Rastelli. Ob in New York, London, Paris oder Berlin - wo immer in den 20er Jahren große Leuchtbuchstaben Rastellis Auftritt ankündigen, stehen die Menschen Schlange. Obwohl der am 19. Dezember 1896 im russischen Samara geborene Sohn eines Zirkus-Direktors heute in fast keinem Lexikon mehr zu finden ist, gilt in der Zirkuswelt "à la Rastelli" immer noch als höchstes Lob.
Seit frühester Kindheit lässt Enrico Bälle, Keulen und Reifen durch die Luft wirbeln. Allerdings nur heimlich, denn Vater Alberto verachtetet solch "nutzloses Zeug". Sein Sohn soll Besseres werden, Trapezflieger, Reckartist oder Kunstreiter. Doch Enrico lässt sich nicht beirren, trainiert so unermüdlich, bis selbst das strenge Familienoberhaupt nur noch staunen und nachgeben kann. Das Bewegungs-Genie jongliert mit 13 Bällen gleichzeitig - und balanciert dabei auf einer Kugel. Mit 19 Jahren beginnt Rastelli seine Solo-Karriere; 1922 kann er Russland endlich verlassen und startet seinen unvergleichlichen Siegeszug. Nach seinem Debüt im New Yorker "Hippodrom" buchen ihn die größten Varietés rund um den Globus und "the Great Rastelli" kassiert Tagesgagen wie heutige Hollywood-Stars. In Berlin sieht ihn Grock, der Clown, und prägt für Rastelli den Ausdruck "Shakespeare der Jongleure".

Rastelli trainiert wie ein Hochleistungssportler, bereist 66 Städte in 48 Tagen, absolviert täglich zwei bis drei Vorstellungen und gastiert bei unzähligen Benefizveranstaltungen. Seine Kombination aus Jonglieren und Balancieren, aus Tempo und Show, alles in Bewegung und unter Einbeziehung des Publikums, ist schlicht revolutionär. Nur einen Monat im Jahr gönnt sich Rastelli Ruhe, zusammen mit Ehefrau Henriette und den drei Kindern auf seinem Stammsitz im italienischen Bergamo. Im Sommer 1931 dann, während einer Deutschland-Tournee, verletzt sich Rastelli mit einem Mund-Balancierstab am Zahnfleisch. Die kleine Wunde blutet tagelang, wird aber nicht weiter beachtet. Ein Arzt diagnostiert schließlich eine schwere Infektion und schickt Rastelli sofort heim nach Bergamo. Am 13. Dezember 1931, sechs Tage vor seinem 35. Geburtstag, stirbt der größte Jongleur der Welt. An einer zu spät erkannten Leukämie, sagen die einen; an giftigen Lacken auf seinen Mundstäbchen, die anderen.

Stand: 19.12.06