Kurt Gerstein

Stichtag

11. August 1905 - Kurt Gerstein wird geboren

Gleichzeitig SS-Offizier und christlicher Widerstandskämpfer - geht das? Die Rolle von Kurt Gerstein im "Dritten Reich" ist umstritten. Er sieht mit eigenen Augen die Massen-Vergasungen in den deutschen Vernichtungslagern und berichtet darüber ins Ausland. Zugleich ist er an Lieferungen des Giftgases "Zyklon B" beteiligt. Der Mann der Widersprüche wird am 11. August 1905 im westfälischen Münster als Sohn eines preußisch-bürgerlichen Elternhauses geboren. Er schließt sich dem Christlichen Verein Junger Männer (CVJM) an und macht evangelische Jugendarbeit. Seine Jungs nennen ihn "Vati". Mit ihnen zusammen habe er nachts "die Reklamen für Kondome abgeschraubt und in den Schrott geworfen", erinnert sich später Rolf Reinecke.

1931 beendet Gerstein sein Studium als Diplom-Ingenieur. 1933 tritt er der NSDAP und der SA bei. Ein Jahre später schließt er sich der Bekennenden Kirche an. Wegen öffentlicher Proteste wird er zweimal von der Gestapo verhaftet, für ein paar Wochen ins KZ Welzheim gesteckt und aus der Partei ausgeschlossen. Er verliert seine Anstellung im Bergbau und beginnt ein Medizinstudium.

"Etwas Fürchterliches erlebt"

"Eine Devise von ihm lautete, halb scherzhaft, halb ernst: Lebe gefährlich!", erinnert sich nach dem Krieg Gersteins Witwe Elfriede. "Da kam er zurück eines Abends und schüttelte den Kopf und sagt: Mit Frack und Weste kann man Hitler nicht bekämpfen." Als 1940 seine Schwägerin im Rahmen des "Euthanasie"-Programms der Nazis vergast wird, tritt Gerstein freiwillig in die SS ein. Er habe "nur ein einziges Verlangen", schrieb er später: "Die ganze Maschinerie sehen und dann: vor allen Leuten hinausschreien!" Im Jahr darauf wird er in der Waffen-SS zum Desinfektionsfachmann ausgebildet. 1942 muss er die Vernichtungslager Belzec und Treblinka besuchen. Gerstein sieht, wie in Belzec Familien in Gaskammern getrieben werden und dort qualvoll an Abgasen von Diesel-Motoren sterben.

Auf der Rückreise trifft Gerstein im Zug per Zufall den schwedischen Diplomaten Göran von Otter und erzählt ihm schluchzend: "Ich habe gestern etwas Fürchterliches erlebt."

Anklage wegen Mittäterschaft

Gerstein wird beauftragt, "Zyklon B" zu beschaffen, um die Massentötungen zu beschleunigen. Das Gas wird hauptsächlich im Vernichtungslager Auschwitz eingesetzt. Immer wieder habe er Lieferungen unschädlich gemacht, sagt er später. Gerstein informiert auch andere Diplomaten und kirchliche Würdenträger über die Mordaktionen. 1943 verfasst er einen ersten Bericht über die Verbrechen und lässt ihn von Freunden im holländischen Widerstand nach London schmuggeln.

Seine Informationen bleiben ohne spürbare Reaktion. Bei Kriegsende gerät Gerstein in französische Gefangenschaft und verfasst einen zweiten Bericht über seine Erlebnisse in der Vernichtungsmaschinerie. Er sieht darin einen wichtigen Beitrag für die Aufklärung des NS-Völkermordes. Als er wegen "Kriegsverbrechen, Mord und Mittäterschaft" angeklagt wird, erhängt sich Gerstein am 25. Juli 1945 in seiner Zelle in Paris.

Stand: 11.08.2010