Stichtag

09. Dezember 2009 - Vor 20 Jahren: Gregor Gysi wird zum SED-Vorsitzenden gewählt

6. November 1989: Das zweite Programm des DDR-Fernsehens strahlt zur besten Sendezeit eine Sondersendung aus. Der Entwurf eines neuen Reisegesetzes soll vorgestellt werden. Zwischen Vertretern des Staatsapparates sitzt auch Rechtsanwalt Gregor Gysi. Der 41-Jährige ist zwar seit 1967 SED-Mitglied. Aber er hat immer wieder Oppositionelle wie Rudolf Bahro, Robert Havemann und die im September 1989 gegründete Bürgerrechtsbewegung "Neues Forum" juristisch vertreten. Zwei Tage vor der Fernsehsendung ist Gysi bei einer Großkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz aufgetreten und hat für die DDR ein neues Wahlrecht und ein Verfassungsgericht gefordert. Auch mit dem geplanten Reisegesetz ist er nicht einverstanden. Im Fernsehstudio kritisiert er es als "halbherzig": "Ich sage Ihnen offen, nachdem ich das gelesen habe, begrüße ich es sehr, dass es ein Entwurf ist, der noch zur Diskussion steht, an dem man sicher noch viel ändern kann." Ein unglaublicher Vorgang für Ostdeutschland: "Gysi war einer der bekanntesten Anwälte der DDR, saß in der Sendung und nahm das geplante Reisegesetz von vorne bis hinten auseinander", erinnert sich Journalist und Gysi-Biograph Jens König. "Das war der Tag, an dem er zum öffentlichen Star in der DDR wurde."

Am 3. Dezember 1989 tritt die SED-Parteiführung mit Egon Krenz an der Spitze zurück. Krenz hatte das Amt erst wenige Wochen zuvor von Erich Honecker übernommen. Die Parteigeschäfte übernimmt zunächst ein sogenannter Arbeitsausschuss, der einen Sonderparteitag vorbereitet. Gysi wird innerhalb dieses Ausschusses Vorsitzender einer Kommission, die Verfehlungen ehemaliger Mitglieder der SED-Führung untersuchten soll. In dieser Funktion ruft er zur Sicherung der Archive und Akten auf. Inzwischen haben sich rund 150 SED-Mitglieder im Berliner Werk für Fernsehelektronik (WF) versammelt und eine "Plattform WF" verabschiedet, die sich gegen eine Weiterführung der SED ausspricht: "Wir wollten die SED abwickeln und wir wollten eine sozialistische Partei – das war auch der Vorschlag für den Parteinamen – gründen", sagt Thoma Falkner, damals WF-Mitbegründer. Seine Gegner sitzen im Arbeitsausschuss: der Oberbürgermeister von Dresden, Wolfgang Berghofer, der spätere DDR-Ministerpräsident, Hans Modrow - und Gysi.

"Ich habe ja dann auch mit Gorbatschow telefoniert", sagt Gysi rückblickend. "Und der sagte mir: Wenn wir die SED aufgeben, geben wir die DDR auf und wenn wir die DDR aufgeben, geben wir die Sowjetunion auf." In einer geheimen Nachtsitzung setzt sich Modrow gegen eine Auflösung der SED ein. Schließlich stimmt die Partei auf gegen ihre Abwicklung. Auf dem Sonderparteitag am 9. Dezember 1989 wird Gysi mit rund 95 Prozent der Delegiertenstimmen zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Auf dem eine Woche später fortgesetzten Parteitag gibt die SED ihrem Namen den Zusatz Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). In der zweiten Januarhälfte 1990 kann Gysi die mehrfach geforderte Selbstauflösung der Partei abwenden. Der Hintergrund: Es sollte verhindert werden, dass das Parteivermögen verloren geht. Im Februar 1990 verzichtet die Partei auf die Bezeichnung SED.

Stand: 09.12.09