Oberbürgermeisterin Köln Henriette Reker

Bericht zu Silvester-Vorfällen

Was wusste Henriette Reker wirklich?

Stand: 19.01.2016, 11:20 Uhr

  • Widersprüchliche Aussagen zum Informationsstand
  • OB Reker sagt, sie war schlecht informiert
  • Innenministerium dementiert dies

Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat die Kölner Polizei gegen den Vorwurf in Schutz genommen, Oberbürgermeisterin Henriette Reker nicht richtig über die Übergriffe der Silvesternacht informiert zu haben. Der Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Wolfgang Düren, versicherte in einem am Montag (18.01.2016) veröffentlichten Brief, "dass es keinerlei Unrichtigkeiten in den Erklärungen der Polizei gegeben" habe.

Reker hatte sich früh von Polizeipräsident distanziert

Die parteilose Politikerin Reker hatte dem Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers eine Woche nach Silvester das Vertrauen aufgekündigt. In einer Pressemitteilung erklärte sie, sie habe "Informationen insbesondere zur Herkunft von ermittelten Beteiligten aus der Gruppe der Täter" erst aus der Presse erfahren. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte dazu auf Anfrage, Albers habe Reker "immer über den Stand, den die Polizei hatte, informiert". Innenminister Ralf Jäger (SPD) hatte Albers am 8. Januar nach heftiger Kritik in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

"Sprachliche Missverständnisse" oder Fehlinformation?

Der Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Wolfgang Düren, reagiert auf eine Anfrage des Kölner SPD-Fraktionschefs Martin Börschel und führt in seinem Schreiben aus, dass Albers die Oberbürgermeisterin am 2. Januar 2016 telefonisch "über die bis dahin vorhandenen Erkenntnisse unterrichtet" habe. Bei der Pressekonferenz am 4. Januar habe die Polizei darauf hingewiesen, "dass es sich bei der alkoholisierten Menschenmenge vornehmlich um Personen aus dem nordafrikanisch-arabischen Raum handelte".

In einem Gespräch am 5. Januar habe Albers Reker dann erneut über den aktuellen Stand informiert. "Ich bin zuversichtlich, dass auch Frau Oberbürgermeisterin Reker inzwischen zu der Einschätzung gelangt ist, dass es sich um sprachliche Missverständnisse handelt und nicht um eine mangelhafte Unterrichtung", sagte Düren. Reker selbst hatte am vergangenen Freitag noch einmal wiederholt, dass sie sich durchaus unzureichend informiert fühle. "Die frühen polizeiinternen Informationen und Protokolle, die in den letzten Tagen in den Medien veröffentlicht wurden, haben mir zum Zeitpunkt der Pressekonferenz am 5. Januar nicht vorgelegen und liegen mir auch bis heute nicht vor", betonte sie.

Reker: Vertrauen zur Polizei "erheblich erschüttert"

Der Sprecher des Innenministeriums wies darauf hin, dass es bis zum 5. Januar tatsächlich noch keine Erkenntnisse zu Tatverdächtigen gegeben habe. Erst am 6. Januar seien die ersten drei Tatverdächtigen ermittelt worden. Reker hatte am 5. Januar vor Journalisten gesagt, die Behörden hätten keine Hinweise darauf, dass es sich bei den Beteiligten um Menschen aus der "Flüchtlingsgruppe" handele. Entsprechende Vermutungen seien "absolut unzulässig". Drei Tage später beklagte sie: Die Fakten, die ihr die Polizeiführung geschildert habe, gäben nicht das vollständige Bild der Einsatznacht wieder, ihr Vertrauensverhältnis zur Kölner Polizeiführung sei "erheblich erschüttert".

Im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags hatte NRW-Innenminister Jäger der Kölner Polizeiführung allerdings auch gravierende Fehler in der Kommunikation vorgeworfen. Die Polizei sei "in der öffentlichen Wahrnehmung offensichtlich nicht durchgedrungen", sagte Jäger in der vergangenen Woche. In einem Ministeriumsbericht hieß es, der Polizeipräsident habe es versäumt, das "entstandene Bild der Vertuschung frühzeitig zu vermeiden oder wenigstens nachhaltig zu korrigieren".

Jäger rechtfertigt Kenntnisstand

Unterdessen hat Innenminister Jäger Belege geliefert, wann er was gewusst hat. Bereits zuvor hatte er mehrfach betont, dass die Meldungen, die an ihn in der Silvesternacht ergingen, das Ausmaß der Gewalt nicht erkennen ließen. Diese sogenannten WE-Meldungen - WE steht für "wichtiges Ereignis" - hat das Innenministerium nun in einem Bericht zusammengestellt. Er wurde der Presse zur Verfügung gestellt. Demnach heißt es in der ersten WE-Meldung, die am 01.01.2016 um 3:16 Uhr verschickt wurde, dass die Gefahr einer Massenpanik bestanden habe. Doch der Vorplatz sei geräumt worden: "Die Räumung verlief ohne Vorkommnisse." Das klingt nach einer Entwarnung.

In der zweiten WE-Meldung von 14:36 Uhr am Neujahrstag ist von sexuellen Übergiffen auf elf Frauen die Rede, die aus Gruppen von Nordafrikanern heraus begangen worden sein soll. Auch eine mutmaßliche Vergewaltigung mit einem Finger wird erwähnt - ein Detail, das bislang nicht bekannt war. Diese zweite WE-Meldung hat Jäger persönlich erhalten. Die ganze Dimension der Vorfälle habe er aber da noch nicht absehen können, sagt Jäger.

Der Landtagsabgeordnete Frank Herrmann (Piraten) zeigte sich angesichts dieser Verteidigungsoffensive von Jäger erstaunt: Im WDR sagte Herrmann, er sei Mitglied im Innenausschuss und habe diese Dokumente nicht. "Das ist falsch verstandene Transparenz." Die erste WE-Meldung an Jäger endete übrigens mit dem Zusatz: "Es bestand geringes Medieninteresse." Das hat sich gewaltig geändert. Nicht nur die Medien, auch die Landespolitik hat großes Interesse an der Aufklärung - ein Untersuchungsausschuss soll eingesetzt werden.

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