Silvesterübergriffe in Köln: Was wusste das Innenministerium?

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Wollte Ministerium Vergewaltigung in Silvesternacht vertuschen?

Stand: 07.04.2016, 17:23 Uhr

  • Innenminister Jäger weist Vorwürfe der Vertuschung zurück
  • Polizeikommissar aus Köln soll Sachverhalt falsch verstanden haben
  • Opposition: Jägers Darstellung wenig glaubhaft

Von Rainer Kellers

Zu den Vorgängen in der Kölner Silvesternacht kommen immer wieder neue Vorwürfe auf. Am Mittwoch (06.04.2016) berichtete zunächst der "Express" davon, dass eine übergeordnete Polizeibehörde des Landes am Neujahrstag angeblich versucht habe, Einfluss auf die Kölner Polizei zu nehmen. Es soll darum gegangen sein, eine interne Meldung entweder zu stornieren oder abzuändern. Das Wort "Vergewaltigung" sollte herausgenommen werden. Angeblich auf Wunsch "aus dem Ministerium", wie es in einem Vermerk heißt.

Einflussnahme von oben? Ein Vertuschungsversuch? Sollten die Taten verharmlost werden, damit nicht negativ über Flüchtlinge berichtet wird? Die Vorwürfe wiegen schwer. Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat sie im Innenausschuss des Landtags am Donnerstag (07.04.2016) gleichwohl vehement zurückgewiesen. "Es gab weder von mir persönlich den Versuch, Einfluss auf eine WE-Meldung des Polizeipräsidiums Köln zu nehmen, noch hat es eine solche Anweisung aus meinem Haus gegeben", betonte Jäger. "WE" ist eine Abkürzung für "wichtiges Ereignis".

Meldung wurde letztlich gar nicht verändert

In dieser WE-Meldung vom Mittag des 1. Januars beschreibt die Kölner Polizei erstmals, was in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof passiert ist: Die Rede ist von einer 40- bis 50-köpfigen Personengruppe - nach Zeugen-Beschreibung Nordafrikaner -, die Frauen belästigt und bedrängt habe. Als Delikte werden in der Meldung Vergewaltigung, Beleidigung auf sexueller Basis, Diebstahl und Raub genannt. Die Frauen seien begrapscht und bestohlen worden. Und: "In einem Fall wurden einem 19-jährigen deutschen Opfer Finger in die Körperöffnungen eingeführt."

Die Kölner Polizeiwache hat die Meldung kurz nach 13 Uhr am Neujahrstag abgesetzt. Zwanzig Minuten später, so der E-Mail-Vermerk der Polizisten, habe es ein Telefonat mit der Landesleitstelle der Polizei gegeben. Der Anrufer soll - im Namen des Ministeriums - eine Stornierung der Meldung oder Streichung des Wortes Vergewaltigung gefordert haben. Die Kölner Beamten ließen sich jedoch nicht reinreden, und so ging die Meldung unverändert an die entsprechenden Stellen - und fand im Zuge der Aufklärungsbemühungen des Ministers auch den Weg in die Öffentlichkeit. Wenn es also den Versuch einer Einflussnahme gegeben hat, ist er gescheitert.

FDP: "Jägers Fassade als Aufklärer ist zusammengebrochen"

Für große Teile der Opposition ist aber allein der Versuch schon Skandal genug. Jägers Beteuerung und die Erklärungen seiner Beamten im Ausschuss halten CDU und FDP nicht für glaubhaft. "Da hat jemand die Brisanz der Vorgänge erkannt und versucht, das Thema vom Tisch zu wischen", meint Gregor Golland, Innenexperte der CDU-Fraktion. Jägers Fassade als Aufklärer sei zusammengebrochen, sagt FDP-Mann Marc Lürbke.

Der Innenminister hält diese Vorwürfe für "absurd". "Laden Sie mich doch vor den Untersuchungsausschuss, wenn Sie mir nicht glauben." Jäger lässt zwei seiner Spitzenbeamten aus dem Ministerium akribisch die Recherchen zu dem Vorgang vortragen. Das Ergebnis: Der Kölner Kriminalkommissar müsse sich geirrt haben. Es sei kein Gespräch der Leitstelle mit der Kölner Wache belegbar. Es wäre auch gar nicht üblich, dass sich die Landesleitstelle direkt bei der Wache meldet. "Der Sachverhalt lässt sich nicht nachvollziehen", sagt Bernd Heinen, Inspekteur der NRW-Polizei. "Das Gespräch hat nach meiner Auffassung gar nicht stattgefunden."

Fachlicher Dialog statt Einflussnahme?

Erfunden hat der Kölner Kommissar den Anruf aber auch nicht. Die Version des Ministeriums: Ein Beamter aus dem Landeskriminalamt sei der unbekannte Anrufer gewesen. Es soll aber auch hier kein Einflussversuch gewesen sein, sondern "Abstimmungsgespräche". Ein fachlicher Dialog, wie die Delikte zu bewerten seien, erklärt Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann.

Schürmann räumt allerdings ein, dass er persönlich bereits am 10. Januar von der Kölner Vize-Kripochefin über die "Abstimmungsgespräche" informiert worden war. Er habe den Vorgang nicht für einen "nennenswerten und zu priorisierenden" Sachverhalt gehalten. Den Minister habe er damals - einen Tag vor der Sondersitzung des Innenausschusses zum Thema Silvesternacht - nicht informiert. "Das mag aus heutiger Sicht als falsch erscheinen", sagt der Spitzenbeamte. "Eine abenteuerliche Verteidigungsstrategie", findet CDU-Mann Golland. Schürmann nehme alle Schuld auf sich, um den Minister zu schützen.

Die Sache ist für den Minister also noch nicht ausgestanden. Wer wirklich angerufen hat und mit welcher Intention, muss wohl jetzt der Untersuchungsausschuss klären.