EU-Kandidat Giegold im Porträt

Vom Grünen-Kritiker zum Grünen-Politiker

Stand: 15.05.2014, 06:30 Uhr

Sven Giegold ist Spitzenkandidat der NRW-Grünen für die Europawahl. Der Attac-Mitbegründer setzt im Wahlkampf auf Wirtschaftskompetenz. Zuhörer erreicht er im NRW-Wahlkampf nur wenige, dafür um so mehr per Mail.

Von Martin Teigeler

Es ist ein regnerischer und kühler Frühling in Deutschland. Sven Giegold steht Mitte Mai in Oberhausen vor einem Kulturzentrum. Dem NRW-Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahl am 25. Mai ist etwas kalt. Der 44-Jährige klagt über eine Mittelohrentzündung, die er sich im Wahlkampf zugezogen hat. Und dann muss er noch die Steueraffäre des Grünen-Bundestagsfraktionschefs Anton Hofreiter kommentieren. Dass Hofreiter jahrelang keine Steuern für seine Berliner Zweitwohnung gezahlt hatte, sei "ein Steuervergehen", sagt Giegold mit ernster Stimme. "Er hat das jetzt ausgebügelt. Aber es schadet unserer Glaubwürdigkeit schon", kommentiert der NRW-Grüne den Fall.

Seiteneinsteiger bei den Grünen

Sven Giegold ist erst seit fünf Jahren Berufspolitiker. Damals schickten ihn die Grünen erstmals ins Europaparlament. Zuvor hatte sich der gelernte Ökonom einen Namen gemacht als Globalisierungskritiker. 2000 gehörte Giegold zu den Mitbegründern des Netzwerks Attac in Deutschland. Giegolds Weg zu den Grünen war lang. 1990 zitierte die "taz" den jungen Zivildienstleistenden und Umweltaktivisten Giegold mit einem abfälligen Kommentar über die "grüne Selbstzerfleischung". Noch 2001 sah er zwischen Attac und den Grünen "Welten liegen", da sich die Grünen "immer mehr einer marktliberalen Position" angenähert hätten. Mit den Jahren näherte sich dann Giegold immer stärker den Grünen an, die wiederum seit 2005 eher nach links rückten.

Sonst "niemand, der nach Brüssel wollte"

Die "FAZ" attestiert dem EU-Abgeordneten Giegold ein "ausgeprägtes Sendungsbewusstsein" - und "Kompetenz". Im kurzen Interview mit WDR.de vor einem Wahlkampf-Auftritt am Dienstagabend (13.05.2014) in Oberhausen verweist Giegold etwas kokett auf den Artikel. Warum er als Niedersachse im Grünen-Landesverband NRW aktiv ist? "Ich kannte den Landesverband seit langem durch persönliche Kontakte und durch Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen. Es gibt eine familiäre Beziehung nach NRW: Mein Vater kommt aus Detmold", erzählt Giegold. "Ansonsten war es so, dass der Landesverband nach jemandem suchte, der eine gewisse Prominenz hat und eine Chance, auf einer Bundesdelegiertenversammlung gewählt zu werden." Und von den aktiven und bekannten Grünen aus NRW "gab es niemand, der nach Brüssel wollte", sagt Giegold. "Und daraufhin haben sie mich gefragt, weil sie mich halt kannten. Und jetzt lebe ich halt in NRW, in Düsseldorf."

Wenn Giegold redet, wechselt er zwischen meinungsfreudigen, teils sehr selbstbewussten Sätzen (zum Beispiel: "Ich bringe grüne Werte mit Wirtschaftskompetenz zusammen. Das gibt es nicht so oft.") und längeren, dozierenden Ausführungen. Wie seine politische Karriereplanung aussieht? "Ich hab überhaupt keine. Ich habe in meinem Leben immer das gemacht, wo ich das Gefühl hatte, im Sinne meiner Werte kann ich da am meisten bewirken", sagt Giegold. Er wisse noch nicht, was er in den nächsten Jahren politisch machen werde. Wie der Weg weitergehe, wolle er mit seiner Frau besprechen.

Nur 15 Interessierte

Die grüne Abend-Veranstaltung in Oberhausen dreht sich um das Freihandelsabkommen TTIP. Vor Beginn des Termins begrüßt Giegold die Oberhausener Bundestagsabgeordnete und Ex-NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn. Beide scherzen im Zwiegespräch ein wenig über Zweitwohnungen. Das Interesse an Giegolds Wahlkampfauftritt in Oberhausen ist äußerst gering. Nur etwa 15 Aktivisten und Bürger sind in das Oberhausener Kulturzentrum gekommen. Eilig räumen Parteimitarbeiter in dem kleinen Saal Tische und Bänke an die Seite, die nicht gebraucht werden. Die mehrheitlich nicht mehr ganz jungen Zuhörer trinken Bier und Rotwein. Höhn spricht trotz des überschaubaren Publikums in ein Mikrofon. Giegold verzichtet bei seiner langen Anti-TTIP-Rede auf ein Mikro.

Politischen Ehrgeiz zeigt Giegold auf jeden Fall. "Ich habe 400 Veranstaltungen gemacht in den letzten fünf Jahren", berichtet er. Um die direkte Kommunikation mit seinen Anhängern zu pflegen, hat er etwa 20.000 Mailadressen gesammelt. Beiläufig spricht er von seiner "Machtbasis" in der Partei. So spricht keiner, der nur ein paar Jahre bei den Grünen aktiv sein will.