Ein Gang im Essener Bunker der Deutschen Bahn

Stickige Luft, kaum Wasser: Beklemmende Tour durch Essener Atomschutzbunker

Essen | Unterwegs

Stand: 28.11.2023, 12:11 Uhr

Fast direkt unter dem Essener Hauptbahnhof wurde bei Bauarbeiten für ein Hotel vor einigen Jahren ein Bunker aus dem Kalten Krieg entdeckt. Eine Schülergruppe erlebt bei einer Führung, wie dort rund 70 Mitarbeiter der Deutschen Bahn im Falle eines atomaren Angriffs leben und arbeiten sollten. Ihr Eindruck? Beklemmend.

Von Carmen Krafft

Hinter zwei dicken, schweren Eisentüren beginnt für die Schülerinnen und Schüler des Essener Leibniz Gymnasiums eine Tour durch eine bizarre, beengte Welt – 16 Meter unter der Erde. Das Ruhrmuseum hat im Rahmen einer Archäologie-Ausstellung einmalig zwei Touren durch diese Welt angeboten. Das Hotel hält den Bunker wegen der Statik instand, denn das Gebäude steht praktisch auf dem Bunker.

Die Schülergruppe drängt sich durch schmale Gänge, überall zweigen Technik- und Konferenz-Räume ab. Die Luft ist hier nur dank nachgerüsteter Lüftung gut. Eine dünne Staubschicht hat sich aber trotz der hermetischen Abriegelung auf den Boden und das wenige Inventar gelegt.

Kein Schutz vor dem direkten Einschlag

Man spürt: Falls hier je für den Ernstfall trainiert wurde, ist dies wohl Jahrzehnte her. Der Atombunker selbst sollte durch schwere Türen, drei Meter dicke Mauern und seine Tiefe offenbar vor atomarer Strahlung schützen. Einem direkten Einschlag hätte er laut der Archäologen aber nicht standgehalten.

Rundgang: So sieht es im Atomschutzbunker unter dem Essener Hauptbahnhof aus

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"Das Bahnpersonal sollte bei einem Atomangriff die Eisenbahn-Infrastruktur aufrechterhalten – auch wenn oben alles zerstört wäre", erklärt Patrick Jung, Archäologe des Ruhrmuseums. Für den 47-Jährigen erzählt der Bunker viel über den Kalten Krieg: Die Bahn baute die Anlage 1961 – das Jahr des Mauerbaus. Ost- und Westberlin waren geteilt, die Supermächte USA und Sowjetunion bereiteten sich auf mögliche Angriffe des anderen vor.

Kaum Überlebenschancen unter der Erde

Der Bunker ist einer von circa 20 ehemaligen Schutzräumen in Essen, die alle in Privatbesitz sind. Nach dem Kalten Krieg geriet er in Vergessenheit, die Bahn verkaufte das oberirdische Gelände und den darunterliegenden Bunker, den man seit Jahrzehnten nicht mehr gebraucht hatte. Auf einer Fläche von über 1.000 Quadratmetern – aufgeteilt auf zwei Etagen – sollte hier unten gelebt, aber vor allem gearbeitet werden. Zum Beispiel an Fernmeldern. Die Technik mit vielen Schaltkästen in dem Raum ohne Licht wirkt antiquiert.

Schüler stehen vor einer großen Plexiglastafel mit dem Bahnnetz Deutschlands

In der ehemaligen Kommandozentrale ist das Eisenbahnnetz auf einer Wand aus Plexiglas kunstvoll aufgemalt.

Aber was wollte man eigentlich mit der ganzen Technik und Ausstattung? "Wenn oben alles zerbombt ist, was regeln die hier unten dann noch?", fragt die 17-jährige Schülerin Nicole. Archäologe Jung hat keine rechte Antwort: "Das ist eben die große Frage, es wusste niemand, was genau passiert."

Eines aber wissen die Schülerinnen und Schüler genau: dass die Bahnmitarbeiter nicht lange in dem Bunker überlebt hätten. Das Wasser in zwei 20.000-Liter-Tanks hätte nur für etwa drei Wochen gereicht – eine bedrückende Erkenntnis. "Die Menschen hätten sich hier im Grunde aufgeopfert", bringt es die 18-jährige Elena auf den Punkt. Auch, wenn es eine Fluchttür gab. Sie führt durch Tunnel unter die Hauptpost am Bahnhof.

Eine Etage tiefer ist die Luft muffig. Hier leuchten die Schüler mit dem Handy auf Stockbetten aus Metall, Waschbecken, Kloschüsseln, Duschen – teilweise zerstört. Hier sollte das Sonder-Kommando der Bahn leben. "Aber der Schlafbereich hier unten ist so eng, dass klar ist: Vorrang hatte der Dienst", sagt Elena.

"Wo sollen wir im Ernstfall hin?"

Neben einer schweren Eisentür hängt ein Zettel – ganz vergilbt. "10.11.1970" ist als Datum der letzten Inspektion des Atomschutz-Bunkers notiert. 53 Jahre nach dieser letzten Begehung sind die Schüler ergriffen. "Wie schützen wir uns heute im Fall eines Krieges?", fragen sie.

Archäologe Detlef Hopp erzählt, was Schüler besonders beschäftigt hat

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Tatsächlich prüft die Bundesregierung seit Jahren, ob die bundesweit rund 500 öffentlichen Schutzräume für die Zivilbevölkerung für den Ernstfall startklar gemacht oder für immer zurückgebaut werden sollen. Der ehemalige Bunker der Bahn ist kein öffentlicher Schutzraum und könnte – wie andere – nur mit großem Aufwand reaktiviert werden. Es gibt zum Beispiel kein Wasser, kein Abwasser und nur wenig Licht. Der 67-jährige Archäologe Detlef Hopp: "Angesichts der Krisen heute stellt sich die Frage: Wo sollen wir im Ernstfall hin?"

Über dieses Thema haben wir auch am 21.11.2023 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.