Pflegerin Kim Sterck

Zwischen Zeitdruck und Patientenwürde: Unterwegs mit dem Pflegedienst

Städteregion Aachen | Unterwegs

Stand: 28.01.2024, 10:56 Uhr

Termine, Termine, Termine: Ambulante Pflegedienste sind ganz schön durchgetaktet. Da kann jede Baustelle, jeder Stau wertvolle Zeit kosten. Die Aachenerin Kim Sterck muss daher jeden Tag aufs Neue die Gratwanderung zwischen Zeitdruck und würdevoller Pflege ihrer Patienten schaffen.

Von Purvi Patel

Kaum ist sie losgefahren, wird Kim Sterck ausgebremst. Die Müllabfuhr. Überholen geht nicht, dafür ist die Straße viel zu eng. Also Geduld haben, abwarten. "Irgendetwas ist immer", seufzt die medizinische Fachangestellte. Sie blickt konzentriert auf das riesige Fahrzeug vor ihr, damit sie ja nicht den Moment verpasst, wenn es weiterfährt und sie überholen kann. Schließlich biegt die Müllabfuhr ab, Sterck drückt aufs Gas. Cirka drei Minuten hat sie verloren. In ihrem Job sind das drei Minuten zu viel. Die 27-Jährige arbeitet für die Aachener Caritas. Dessen ambulanter Pflegedienst ist mit 200 Mitarbeitern der größte im Umkreis von 50 Kilometern.

Baustellen und Parkplatzsuche: Pflegerin Kim Sterck hat Zeitdruck

00:30 Min. Verfügbar bis 28.01.2026

Pflegesituation in NRW

1,19 Millionen Menschen und damit 6,6 Prozent der Bevölkerung galten in Nordrhein-Westfalen im Dezember 2021 als pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes. Laut Statistischem Landesamt wurden 86 Prozent der Pflegebedürftigen 2021 zu Hause versorgt. Die meisten werden von Angehörigen oder anderen nahestehenden Menschen betreut. Doch über 235.000 Menschen waren 2021 auf einen ambulanten Pflegedienst angewiesen.

Eine halbe Stunde braucht Sterck für die Fahrt zu der ersten Patientin. Eine Strecke, die sie theoretisch in 10 Minuten schaffen könnte - doch morgens sind die Aachener Straßen immer voll. Sterck wird diesmal von einer Auszubildenden begleitet. Die beiden werden von der Patientin freudig erwartet. Blutdruck messen, Tabletten geben. Es bleiben noch ein paar Minuten zum Plaudern. Die 94-Jährige lebt alleine. Sie hat nur noch selten Gäste. Ihre vier Kinder sind weggezogen, erzählt sie. "Und die haben kranke Leute zuhause, um die sie sich kümmern müssen. Da können sie nicht einfach mal vorbeikommen." Umso wichtiger sei für sie der Pflegedienst.

Die Seniorin freut sich über den Besuch der Pflegerin

00:24 Min. Verfügbar bis 28.01.2026

Dann müssen die beiden auch schon weiter. Der 27-jährigen Pflegekraft fällt das schwer. Doch ihr bleibt keine andere Wahl, die anderen Patienten warten schon. Sterck versorgt auf ihrer Tour quer durch Aachen ungefähr zehn bis 14 Patienten innerhalb von rund fünf Stunden. Nebenbei lernt sie die Auszubildende an. Umso ärgerlicher ist es, wenn wichtige Verbindungsstraßen für Autos gesperrt sind. Manchmal steht sie im Stau, während die Busspur neben ihr komplett frei ist. Das macht sie wütend. Sie würde gerne die Busspur benutzen, doch das darf sie nicht. Sie würde auch gerne die Frauenparkplätze in Parkhäusern benutzen, aber auch das darf sie als ambulante Pflegekraft nicht. Stattdessen verliere sie Zeit durch Staus, Umleitungen und Parkplatzsuche, klagt Sterck.

Tausende Stunden auf der Straße

Die Tourenplanung bei der Pflege ist sehr komplex, erklärt Josif Cvetkovski. Er ist der Leiter des ambulanten Pflegedienstes Caritas Aachen. Nicht alle Pflegekräfte haben dieselben Qualifikationen, dürfen also nicht alles machen. Manche Patienten müssen zu festgelegten Uhrzeiten gepflegt werden, etwa wenn sie einen Dialysetermin haben. Das macht die Planung aufwändig und bedeutet für die Pflegekräfte mehr Zeit im Auto.

Josif Cvetkovski erklärt, wie viel Zeit Pflegekräfte im Auto verbringen

00:30 Min. Verfügbar bis 28.01.2026

Ob Sterck in Zeitdruck ist oder nicht, man sieht es ihr nicht an. Ruhig und freundlich kümmert sie sich um ihre Patienten. Dabei sind ihre Besuche durchgetaktet. Bei ihrer nächsten Patientin hat sie zwei Minuten für die Tabletten. 15 Minuten für den Rest.

"Manche sind sauer. Richtig sauer."

Die Seniorin ist 80 Jahre alt, ihre Tochter lebt in Berlin. Langeweile habe sie zwar nicht, aber sie sei auch froh, dass jemand kommt und nach ihr und ihrer Katze schaut. Sterck gibt ihr die Tabletten, macht das Bett und schmiert ihr ein paar Brote. Wenn sich der Pflegedienst verspätet, muss die 80-Jährige auf ihr Frühstück warten. Klagen tut sie nicht, aber sie ist sichtlich erleichtert und isst mit Appetit das Käsebrot.

Pflegerin Kim Sterck sitzt neben einer Patientin auf einem Sofa

Kim Sterck kümmert sich liebevoll um die Patienten

Doch nicht jeder Patient verzeiht Unpünktlichkeit, erzählt Sterck. "Manche sind sauer, richtig sauer. Sie wollen zum Arzt oder haben andere Termine. Andere möchten unbedingt ihren strukturierten Tagesablauf einhalten, das gibt ihnen Halt. Und mit jeder Minute, die wir zu spät kommen, wankt ihre Welt. Das können sie nicht verzeihen." Für die medizinische Fachangestellte ist das ernüchternd. In solchen Momenten denkt sie an die anderen Patienten, die dankbar sind für ihre Hilfe – und sie mit einem warmen Lächeln begrüßen.

Über dieses Thema haben wir auch am 11.01.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Aachen, 19.30 Uhr.