Sylvia Löhrmann (Grüne), NRW-Schulministerin während einer Pressekonferenz in Düsseldorf am 17.08.2012

Islamunterricht in NRW

Start ohne Lehrplan und Religionslehrer

Stand: 22.08.2012, 11:25 Uhr

Im neuen Schuljahr führt NRW als erstes Bundesland einen islamischen Religionsunterricht ein. Doch der Start an den Grundschulen könnte holprig werden: Bisher fehlen noch der amtliche Lehrplan und regulär ausgebildete islamische Religionslehrer.

Von Dominik Reinle

"Wir gehen bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts planvoll und schrittweise vor", sagte NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) kurz vor Beginn des Schuljahres 2012/2013. Das neue Fach werde nach den Sommerferien an den ersten 44 Grundschulen angeboten. Dort sollen 40 Lehrer ab Mittwoch (22.08.2012) rund 2.500 Schüler unterrichten. Damit wird allerdings zunächst nur ein kleiner Kreis erreicht: In NRW gibt es an den insgesamt 3.086 Grundschulen rund 140.000 Schüler muslimischen Glaubens.

Ziel der Landesregierung ist es, den bekenntnisorientierten Unterricht später einmal flächendeckend sowohl an Grund- als auch an weiterführenden Schulen für alle rund 320.000 muslimischen Schüler im Land anzubieten. "Das ist ein wichtiger Beitrag zur Integration", so Löhrmann. Doch das kann dauern - noch fehlen die Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Schulbetrieb: Nach Angaben der Ministerin ist der von ihrem Haus zu erstellende Lehrplan voraussichtlich erst im Sommer 2013 fertig. Und die ersten theologisch ausgebildeten islamischen Religionslehrer werden wohl erst 2019 zur Verfügung stehen. Denn der Studiengang "Islamische Religionslehre" an der Universität Münster startet erst zum Wintersemester 2012/2013.

"Vollwertiger Religionsunterricht gewährleistet"

Weshalb wird der islamische Religionsunterricht trotz dieser Einschränkungen bereits heute eingeführt? Sylvia Löhrmann hatte im letzten Winter im Landtag gefordert, mit dem Unterricht "als erstes Land" zu beginnen und damit "den anderen Ländern ein gutes Beispiel" zu geben. Liegt es also möglicherweise am Ehrgeiz der Ministerin? Auf diese Fragen antwortet Jörg Harm, Sprecher des NRW-Schulministeriums, so: "Das ist ein übliches Verfahren bei der Einführung eines neuen Schulfachs." Genaueres will er nicht sagen. Stattdessen verweist er auf einen engen Zeitplan: Die Weichen zur Einführung des islamischen Religionsunterrichts habe der Landtag im Dezember 2011 gestellt. Danach sei unverzüglich mit der Ausarbeitung des Lehrplans und der Einrichtung des entsprechenden Studiengangs begonnen worden.

Man müsse Schritt für Schritt vorgehen, so Sprecher Harm. Ein vollwertiger Religionsunterricht sei dabei aber durchaus gewährleistet. Bei den jetzt eingesetzten Lehrkräften handele es sich um ausgebildete Lehrer und Islamwissenschaftler, die bereits seit mehreren Jahren Islamkunde unterrichten. Dieses religiös neutrale Fach gibt es in NRW schon seit 1999 an derzeit 143 Schulen. Das Fach Islamkunde soll nun allmählich durch den Religionsunterricht ersetzt werden. Während im Islamkunde-Unterricht nur über den Islam informiert wird, macht der bekenntnisorientierte Unterricht darüber hinaus den Schülern ein Angebot, ihre eigene Religion zu entwickeln.

"Pioniertat mit Startschwierigkeiten"

Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik der Universität Münster, vor einem Bücherregal

Professor Khorchide: "Aus Fehlern lernen"

"Die bundesweit erstmalige Einführung des islamischen Religionsunterrichts in NRW ist eine Pioniertat mit den zu erwartenden Startschwierigkeiten", sagt Professor Mouhanad Khorchide. Er ist an der Universität Münster für den im Herbst beginnenden Studiengang der zukünftigen, staatlich geprüften islamischen Religionslehrer zuständig. "Die Einführungsphase ist ein Prozess, bei dem auch Fehler passieren dürfen, aus denen man lernen und die Qualität dadurch immer weiter verbessern kann."

Zusammen mit Professor Bülent Ucar von der Universität Osnabrück hat er im Juni für alle Islamkundelehrer, die nun vorerst im islamischen Religionsunterricht eingesetzt werden, eine "Dienstliche Unterweisung" durchgeführt. "In der zweitägigen Veranstaltung wurde der Unterschied zwischen Islamkunde und dem bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht thematisiert", so Khorchide. Ab Herbst seien zudem intensive Fortbildungen geplant. "Wenn sich die Lehrkräfte wie vorgesehen zunächst am Lehrplan für den Islamkundeunterricht orientieren, können sie nicht viel falsch machen." Denn in der Grundschule seien die Themen des islamischen Religionsunterrichts und der Islamkunde sehr ähnlich.

Beirat als Übergangslösung

Der Einführung des islamischen Religionsunterrichts in NRW geht eine jahrelange Vorarbeit voraus: 2008 empfahl die Islamkonferenz unter der Leitung des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble (CDU) den Bundesländern, den islamischen Religionsunterricht "als ordentliches Unterrichtsfach in deutscher Sprache an öffentlichen Schulen" einzuführen. Darauf stützte sich NRW-Schulministerin Löhrmann bei ihrem Vorgehen. Im Februar 2011 gab sie bekannt, dass ihr Ministerium und der Koordinationsrat der Muslime (KRM) sich darauf geeinigt hatten, ab dem Schuljahr 2012/2013 in NRW den Islamunterricht einzuführen.

Muslimische Kinder beim Islamkunde-Unterricht in Bonn (Aufnahme von 2007)

In NRW gibt es rund 320.000 muslimische Schüler

In Deutschland gibt es jedoch nach wie vor noch keine einheitliche islamische Religionsgemeinschaft, die eine entsprechende Rolle wie die christlichen Kirchen beim evangelischen und katholischen Religionsunterricht übernehmen könnte. Deshalb sollte eine Übergangslösung geschaffen werden. Das NRW-Schulministerium und der KRM wollten einen Beirat einberufen, der als Ansprechpartner fungieren kann. Die dafür notwendige Änderung des NRW-Schulgesetzes wurde daraufhin im Dezember 2011 vom Landtag beschlossen - mit der Mehrheit von SPD, Grünen und CDU. Die FDP enthielt sich, die Linke stimmte dagegen. Im Februar 2012 standen schließlich die acht Mitglieder des Beirats fest: die eine Hälfte der Gruppe aus Islamwissenschaftlern und Theologen hatte das Ministerium bestimmt, die andere die islamischen Organisationen.

NRW auch bei den Aleviten Vorreiter

Die Beiratslösung ist vom NRW-Landtag befristet worden: "Spätestens bis 2019 soll eine Lösung gefunden sein, die das Beiratsmodell ablöst und eine feste Vertretung der Muslime etabliert", so Löhrmann. Denn nur anerkannte Religionsgemeinschaften haben nach dem Grundgesetz Anspruch auf die Erteilung von Religionsunterricht. Bis dahin ist der Beirat an der Auswahl der Lehrbücher, der Zulassung des Lehrplanes und der Unterrichtserlaubnis für die jeweiligen Lehrkräfte beteiligt.

Eine Unterkonfession des Islam hat das Verfahren bereits erfolgreich hinter sich: Die Alevitische Gemeinde ist eine anerkannte Religionsgemeinschaft. Bereits seit dem Schuljahr 2008/2009 besuchen in NRW derzeit etwa 300 Kinder an 18 Grundschulen den alevitischen Religionsunterricht. Im Februar 2012 hat NRW das Fach auch an den weiterführenden Schulen eingeführt - als erstes Bundesland.

Koordinationsrat der Muslime

Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) wurde 2007 von vier großen muslimischen Dachverbänden gegründet. Mitglieder sind der "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD), die unter staatlicher Aufsicht der Türkei stehende "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" (Ditib), der "Verband der islamischen Kulturzentren" (VIKZ) und der Islamrat.

Der Koordinierungsrat nimmt für sich in Anspruch, 80 bis 90 Prozent der organisierten Muslime in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Bezogen auf alle rund 4,3 Millionen Muslime, die in Deutschland leben, repräsentiert der KRM allerdings nur rund 20 Prozent.

Pressemitteilung des Schulministeriums vom 21.02.2012, Angaben von Prof. Mouhanad Khorchide