Fünf Jahre nach den Stadion-Ausschreitungen von Port Said

Ägyptens Fußball - Der permanente Ausnahmezustand

Stand: 19.04.2017, 12:26 Uhr

Fußball ohne Zuschauer - das ist in Ägypten Standard, auch fünf Jahre nach den verheerenden Stadion-Ausschreitungen von Port Said. Sport inside berichtet aus einem fußballverrückten Land, das sich nach Normalität sehnt.

Von Marc Schlömer und Volker Schulte

Al-Ahly gilt als der größte und erfolgreichste Sportverein Afrikas, mit eigenen Zeitungen, eigenem Radio- und Fernsehsender. Nur Real Madrid hat in der Fußballwelt mehr internationale Titel geholt als Al-Ahly, das in diesem Jahr seiner 39. ägyptischen Meisterschaft entgegensieht. Früher war das 74.000 Zuschauer fassende Heimstadion in Kairo regelmäßig voll. Seit fünf Jahren aber sind Fans bei Fußballspielen in Ägypten verboten.

Al-Ahly spielt auf einem Militärgelände, um die Ultras des Klubs möglichst auf Distanz zu halten. Denn die Stimmung ist auch fünf Jahre nach den schweren Ausschreitungen von Port Said immer noch angespannt. Die Regierung hat angedeutet, die Stadien in der kommenden Saison teilweise wieder freigeben zu wollen. Doch das hat sie in den Vorjahren auch jeweils versprochen - und nicht gehalten.

Rückblick

Am 1. Februar 2012 empfängt der Klub Al-Masry im Stadion von Port Said den Erzrivalen Al-Ahly aus Kairo. Al-Masry gewinnt überraschend 3:1 - aber das Ergebnis interessiert niemanden. Nach dem Schlusspfiff attackieren Hooligans die Spieler und Fans von Al-Ahly, es kommt zu einer Massenpanik. Viele Randalierer haben Feuerwerkskörper und Waffen dabei - Augenzeugen zufolge waren die Einlasskontrollen sehr lasch.

Die Hooligans stürmen Richtung Gästeblock, ungehindert durch Ordner und Polizei. Im Gästeblock sind viele Ausgänge verschlossen, nur ein Weg steht offen, sodass die Al-Ahly-Fans kaum fliehen können. 72 Menschen sterben, knapp 1.000 werden verletzt. Vor allem junge Männer sind unter den Opfern, sie werden in der Masse erdrückt oder sterben an Stich- oder Kopfverletzungen.

Ein Racheakt?

Die Umstände der Attacken sorgen dafür, dass viele an eine gesteuerte Aktion glauben. Die Ultras von Al-Ahly haben bei der Revolution im Januar 2011 gegen das Regime von Hosni Mubarak vorne mitgemischt - nun vermuten sie einen Racheakt. In den Tagen nach der Attacke von Port Said protestieren Al-Ahly-Ultras vor allem in Kairo gegen die Polizei und den herrschenden Militärrat, dabei kommen 15 Menschen ums Leben.

In mehreren Prozessen hinter verschlossenen Türen fällen Gerichte im Januar 2013 21 Todesurteile gegen mutmaßliche Auslöser der Attacken, darunter auch junge Al-Masry-Fans. Sieben der neun angeklagten Polizisten werden dagegen freigesprochen. Bewohner aus Port Said sehen darin ein politisches Urteil, das Al-Ahly-Ultras besänftigen soll, und gehen auf die Straße. Bei den Protesten kommt es zu schweren Ausschreitungen mit mehr als 30 Toten.

Zehn Todesurteile bestätigt

Nach weiteren Prozessen bestätigt ein Gericht in Kairo im Februar 2017 zehn Todesurteile und zehn lebenslange Haftstrafen, ein elfter zum Tode Verurteilter ist flüchtig. Der ehemalige Polizeichef von Port Said muss eine fünf Jahre lange Gefängnisstrafe absitzen.

Heute traut sich kaum jemand noch, sich öffentlich klar zu den Urteilen zu äußern, geschweige denn zu demonstrieren. Die Angst vor der Härte der Militärregierung ist zu groß.

Sport inside ist es dennoch gelungen, mit Menschen in Ägypten über die festgefahrene Situation zu sprechen. Von Normalität ist der ägyptische Fußball immer noch weit entfernt.

Thema in: Sport inside, WDR Fernsehen, 23.04., 23.00 Uhr