Drei Fensterputzer bei der Arbeit an einer Glassfassade

EU-Ratsgebäude

Fensterputzen im Europaviertel

Stand: 29.09.2014, 13:01 Uhr

Glashaus Europa

Im Brüsseler Europaviertel reiht sich eine Glasfassade an die nächste. Europa sitzt regelrecht im Glashaus. Transparenz ist das Ziel. Doch für den wahren Durchblick sorgen weniger die EU-Beamten, als diejenigen, die wirklich Hand anlegen: die professionellen Fensterputzer. Die Arbeitskolonnen arbeiten sich systematisch von Büroturm zu  Büroturm, pendeln in kleinen Gondeln in luftiger Höhe und sorgen für streifenfreien Glanz auf den Fassaden. So anstrengend die Arbeit, so befriedigend ist sie vermutlich. Mit dem richtigen Arbeitsgerät geht es schnell voran: einseifen, abziehen, fertig.

Hunderte kleiner Rahmen

Doch nun wartet eine knifflige Herausforderung auf die Fensterprofis: das neue Gebäude des Europäischen Rates. Die gerade fertig gestellte Fassade besteht aus Hunderten kleiner Eichenholzrahmen, ein regelrechter Flickenteppich aus Glas und Holz. Fensterputzer Steve Williaume hat die neue Front fachmännisch begutachtet: „Da braucht man mit fünf Mann anderthalb bis zwei Monate“, schätzt er. Schließlich könne man hier nicht mehr mit großen Schwüngen arbeiten, sondern müsse 5 – 6 verschiedene Abzieher verwenden und ständig wechseln: „Eine sehr komplizierte Arbeit“ stöhnt er, dafür brauche man natürlich viel mehr Zeit.

Visuelles Statement

Da hat jemand offenbar nicht richtig nachgedacht -  könnte man meinen - und liegt damit völlig daneben: Der Vater der Fensteridee ist der belgische Architekt Philippe Samyn. Er hat diese Form ganz bewusst gewählt: Das sei kein ästhetischer Spleen, sagt er. Im Gegenteil: die Fensterfront sei das zentrale visuelle Statement, das der Europäische Rat mit der Architektur seines Sitzes ausdrücken wolle: „Sie symbolisiert ein geeintes Europa in der Diversität“.

Das symbolische Konzept hat die Auftraggeber überzeugt: die Fensterrahmen stammen aus recyceltem Altholz aus 27 Mitgliedsstaaten (Kroatien war zum Zeitpunkt des Fensterbaus noch kein EU-Mitglied) – das soll für die Unterschiedlichkeit der Mitgliedsstaaten stehen. Das recycelte Baumaterial sei Eichenholz: das stehe für Einheit und Umweltschutz.

Die Putzfrage

Die Reinigungsfrage sei von Anfang an Teil seines Entwurfs gewesen, sagt Philippe Samyn. Auf entsprechende Fragen des Rates sei man im Wettbewerb vorbereitet gewesen und auch heute noch hat er die Antwort parat: „Es stimmt, das Reinigen dauert 2 bis 3 Mal länger als bei anderen Gebäuden, aber dafür müssen sie die Fassade auch 3 mal seltener putzen.“ 

Und gleich versucht er den Widerspruch aufzulösen. Sein Credo: Vor dem Putzen solle man lieber daran denken, wie man das Putzen vermeiden könne. Genau das habe er getan, mit einem ausgeklügelten System von Wasserableitungen, Regenrinnen und Tropfschutzsystemen. So würde Regenwasser zum Beispiel niemals die ganze Fassade herunter rinnen, sondern immer nur etagenweise.

...und in der Praxis?

Für Steve Williaume klingt das alles wenig überzeugend: Achtung, sagt er – so dächten nur Architekten: „Ich als professioneller Fensterreiniger sage Ihnen – das Gebäude muss trotzdem 2 bis 3 Mal im Jahr gereinigt werden“. Nach seiner Rechnung macht das dann 4 – 6 Monate, in denen die Fensterputzer dort beschäftigt sind – jedes Jahr.

Der Europäische Rat hat weder zur geplanten Reinigungsfrequenz noch zu den anstehenden Kosten eine klare Vorstellung. Auf unsere Nachfrage bekamen wir die Antwort: „Bis jetzt sind die Reinigungskosten der Außenfassade noch nicht beziffert.“

Autorin: Silke Schmidt