Hasskommentare für Erdoğan-Kritiker

Stand: 19.07.2016, 16:00 Uhr

Viele türkischstämmige Menschen in NRW unterstützen Präsident Erdoğan. Während die Demonstrationen meist friedlich verlaufen, explodiert im Netz der Hass. Erdoğan-Kritiker werden brutal beschimpft und mit dem Tod bedroht. Die Stimmung der Deutsch-Türken im Netz ist extrem aufgeladen.

In Nordrhein-Westfalen leben knapp eine Million Menschen mit türkischen Wurzeln. Etwa die Hälfte hat auch einen türkischen Pass. Viele Deutsch-Türken in NRW unterstützen den türkischen Präsidenten Erdoğan. Während die Demonstrationen und Kundgebungen meist friedlich verlaufen, explodiert im Netz spätestens seit dem misslungenen Putschversuch in der Türkei der Hass. Viele Erdoğan-Kritiker werden in den Sozialen Netzwerken brutal beschimpft, bekommen Mord und Verschleppung angedroht. "Komme grad von Facebook. Die Lage ist ernst, das Land ist durchgedreht", schreibt Osman Oğuz über die Lage auf Twitter.

Beschimpfungen, Morddrohungen und Hass für Erdoğan-Kritiker

Den Hass der Erdoğan-Unterstützer bekam Eren Bektas zu spüren, 18 Jahre alt und Sänger aus Duisburg. Nach dem Putschversuch in der Türkei am Freitag und Samstag (15./16.07.2016) postete er ein Erdoğan-kritisches Statement auf Facebook. Jeder der Erdoğan abgöttisch liebe, solle ihn bitte aus der Freundesliste löschen, so schrieb er. Die Reaktionen auf Facebook: Beschimpfungen, Morddrohungen und Hass. "Du ehrenloser Bastard", schrieb einer. "Geh' dich einfach begraben." Ein anderer drohte: "Nieder mit euch Islamfeindlichen."

Eren Bektas ist schockiert. "Sind das wirklich richtige Drohungen? Oder ist das nur heiße Luft?" Kritik an Erdoğan und seiner Politik müsse erlaubt sein, sagt er. "Wie kann man so verblendet sein?"

Brutal und blutrünstig

Der Ton einiger Erdoğan-Unterstützer ist erschreckend brutal. "Diese ehrlosen Putsch-Dilettanten müssten alle [...] hingerichtet werden", schreibt Sadik A., der in NRW wohnt, auf Facebook. Und Haziret A. erklärt ebenfalls via Facebook: "Ab jetzt sollen mich diese ehrlosen FETÖ-Unterstützer [Anhänger der Gülen-Bewegung, Anm. d. Red.] weder begrüßen, noch meinen Weg kreuzen!!! Ihr fiesen Landesverräter!" Manche rufen gar zu Denunziation und Mord auf. "Schießt allen FETÖ-Anhängern, die ihr kennt, in den Kopf", schreibt Sadik A. Und: "Diese Hundeherde, die diese FETÖ unterstützt - wir werden euer Blut trinken und mit eurem Blut duschen!" Nuh P. postet: "Ich bitte euch, alle FETÖ-Sympathisanten, die ihr kennt, an die zuständigen Behörden zu melden! Selbst wenn es der Sohn des Vaters sein sollte!" Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes haben wir alle Namen abgekürzt. Die User-Profile sind der Aktuellen Stunde bekannt [Anm. d. Red.]. Das Landeskriminalamt leitet bei relevanten Fällen eine Strafverfolgung ein.

Türkischer Konflikt auf deutschen Straßen

Posts wie diese zeigen, wie aufgeladen die Stimmung unter Deutsch-Türken ist - obwohl viele in Deutschland geboren sind und ihre Familien hier seit Jahrzehnten leben. Politiker wie die Kölnerin und NRW-Landtagsabgeordnete Serap Güler befürchten, der innertürkische Konflikt könne auch auf deutschen Straßen ausgetragen werden.

Nicht alle Deutsch-Türken trauen sich mehr in diesem Strudel aus Hass, ihre Meinung zu veröffentlichen. Ali Utlu aus Köln, türkischer Menschenrechtler und Ex-Muslim, lässt sich nicht einschüchtern. Er schreibt via Twitter: "Atatürk sagte: 'Frieden im Land, Frieden auf der Welt'. Der neue sagt: 'Chaos im Lande, gut für mich'."

Journalist: "Türken sind stark polarisiert"

Hasskommentare erhalten oftmals diejenigen, die die Lage in der Türkei komplexer bewerten. Der Journalist Baha Güngör, bis zum letzten Jahr Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen Welle, sagt: "Wenn es in der Türkei zu Zusammenstößen mit Kurden, Aleviten und Andersdenkenden kommt, ist zu befürchten, dass der Konflikt nach Europa und vor allem Deutschland überschwappt. Das kann gefährlich werden für den Frieden in Deutschland: Die Türken sind hier wie dort stark polarisiert."

Meist wird auf Türkisch geschimpft und gedroht

Serdar Yüksel, SPD-Abgeordneter im NRW Landtag  im Westpol-Interview

Serdar Yüksel, SPD-Abgeordneter im NRW Landtag

Bereits nach der Armenien-Resoulution des Deutschen Bundestages vom 2. Juni 2016 erhielten türkische Politiker massiv Gegenwind in den Sozialen Netzwerken. Serdar Yüksel, SPD-Abgeordneter im NRW-Landtag, zum Beispiel wurde damals als Heuchler beschimpft, als Hund und ehrloser Barbar. Hasserfüllte Kommentare liest er dann regelmäßig unter seinen Postings: "Wenn ich dich in Bochum in der Innenstadt sehe, werde ich dir deine Fresse polieren", heißt es dort sogar auf Deutsch, meist aber wird auf Türkisch geschimpft und gedroht.

Auch Serap Güler, CDU-Abgeordnete im Landtag, musste bereits wüste Beleidigungen gegen ihre Person lesen. Per E-Mail, in sozialen Netzwerken. "Den langen Arm Erdoğans", sagt sie, "spürt man immer wieder, wenn man etwas Türkei-Kritisches sagt". Dann erlebe sie oft die "volle Wucht an Kritik und auch Beleidigungen".