"Geflügel-Charta" - Fragen und Antworten

PR-Coup oder ehrlicher Vorstoß?

Stand: 10.09.2015, 14:58 Uhr

  • Nach Tierquälerei-Vorwürfe und Aktivisten-Aufnahmen aus Ställen
  • Deutsche Geflügelhalter gehen in die Offensive
  • "Geflügel-Charta" wird am Donnerstag (10.09.2015) veröffentlicht

Welche Versprechen macht der Zentralverband der Geflügelproduzenten?

"Wir wollen das beste Geflügelland der Welt sein", heißt es in der vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) veröffentlichten "Geflügel-Charta". Tierwohl und Tiergesundheit werden darin zur "zentralen Aufgabe" erklärt. Die rund 8.000 Betriebe des Verbands bekennen sich außerdem zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika, zu sozialen Standards und ehrlicher Verbraucherinformation. Wer sich nicht gut um seine Tiere kümmere, werde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Das Geflügelfleisch soll dennoch "für alle Bevölkerungsgruppen erschwinglich bleiben".

Welche Missstände gibt es in der Geflügelwirtschaft?

Nach Angaben des BUND NRW ist der massive Einsatz von Antibiotika weiterhin ein großes Problem. In den NRW-Putenställen werde in mehr als neunzig Prozent der Mastdurchgänge Antibiotika eingesetzt. Das ergab eine Studie des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz im Jahr 2014. Außerdem gebe es in den Ställen nach Angaben des BUND-Referenten Ralf Bilke weiterhin "eine drangvolle Enge". Foodwatch zufolge stehe den Tieren zum Ende einer Mast lediglich Platz in der Größe eines DIN-A-5-Blatts zur Verfügung. Außerdem werde bei den allermeisten Puten und Legehennen weiterhin das Schnäbelkürzen vollzogen, obwohl das Tierschutzrecht diese Praxis längst untersage.

Wird es durch die Charta nun voraussichtlich weniger Missstände geben?

Nach Angaben von Foodwatch enthält die 30 Seiten umfassende Charta "keinerlei konkrete Ziele". "Es geht vor allem um Selbstdarstellung", so Foodwatch-Referentin Luise Molling. Der BUND NRW kritisiert, dass die Charta über eine reine Selbstverpflichtung nicht hinaus gehe. Wichtig sei die Einführung von gesetzlichen Mindeststandards - bisher gelte bei der Haltung von Puten das Prinzip der Freiwilligkeit. "So haben die Veterinärämter aber keine Handhabe und können keine Bußgelder verhängen, wenn sie Missstände entdecken", sagt Ralf Bilke vom BUND. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft entgegnet, dass man sich an den sogenannten "Puten-Eckwerten" orientiere. Diese seien gemeinsam mit Politik und Tierschutzorganisationen erarbeitet worden. Sie regelten die Pflege und Versorgung der Tiere - und hätten "rechtsähnlichen Charakter". Zudem gebe es eine behördliche Kontrolle durch das sogenannte QS-System. "QS" steht für "Qualität und Sicherheit". Nach Angaben von Verbraucherschützern spielt der Tierschutz beim QS-System jedoch keine Rolle.

Wie reagiert das Land NRW ?

Der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) sagt, er freue sich, "dass sich in der deutschen Geflügelwirtschaft inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es zu einer Kehrtwende kommen muss". Das Land NRW will im Rahmen einer Bundesratsinitiative die Nutztierhaltungsverordnung ändern. Damit sollen rechtsverbindliche Regelungen zur Putenhaltung eingeführt werden, wie sie beispielsweise bereits für Hühner und Schweine existieren. Unter anderem soll die sogenannte "Besatzdichte" reduziert werden - um den Puten "ein tiergerechtes Bewegungsverhalten" zu gewähren. Außerdem soll der Bestand mindestens einmal im Monat tierärzlich untersucht werden. In Nordrhein-Westfalen soll es ab Ende 2016 zudem verboten sein, Geflügel routinemäßig die Schnäbel zu kürzen.

Und worauf sollte der Verbraucher beim Kauf von Geflügel achten?

Um sicher zu gehen, dass man als Konsument hochwertig erzeugtes Fleisch erhält, sollte man nach Auffassung von Verbraucher- und Tierschützern am ehesten zu Bio-Produkten greifen. Erzeuger von Bio-Produkten würden eher auf artgerechte Tierhaltung achten, so der BUND NRW. Vor allem sollte eines klar sein: "Wer Billig-Geflügel kauft, bekommt auch Tierschutz auf Billig-Niveau."