Gastbeitrag nach Orlando: "Warum Angst unsere Freiheit bedroht"

Stand: 14.06.2016, 18:00 Uhr

Nach dem Attentat in einem Nachtclub in Orlando mit 49 Toten wächst in den USA das Gefühl, dass die Gemeinschaft der Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen nicht sicher ist. Und was bedeutet Orlando für die Homosexuellen in Deutschland? Ein Gastbeitrag von Sven Lehmann, Landesvorsitzender der Grünen in NRW.

Von Sven Lehmann, Vorsitzender Grüne NRW

Am Tag nach dem heimtückischen Massenmord von Orlando rückt jetzt in den Blick, was in Zeiten von lesbischen Moderatorinnen, schwulen Politikern und queeren ESC-Sieger*innen schon fast vergessen schien: die Angst vor einem Coming Out und der Hass auf die eigene sexuelle Identität.

Der Angriff auf einen Nachtclub, der auch Schutzraum für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intermenschen (LGBT) war, trifft die Community an einer ihrer empfindlichsten Stellen. Schon länger wird uns eingeredet, jetzt sei es aber mal gut mit der Emanzipation. Es gebe doch die Eingetragene Lebenspartnerschaft und überhaupt könne von Diskriminierung keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall.

Nur die wenigsten können nachvollziehen, dass für viele Menschen, die anders lieben oder leben möchten als die Mehrheit, Angst ein täglicher Begleiter ist. Angst, auf der Straße den Menschen zu küssen oder zu umarmen, den man liebt. Angst, auffällig zu reden oder zu gehen. Angst, am Arbeitsplatz könnte das Gerücht über Homosexualität die Runde machen.

Die Freiheit, die sich zig tausende Menschen erkämpft haben, ist in Gefahr, sollte diese Angst jetzt größer werden und einige den Schritt zurück ins Private gehen. Nein, gerade jetzt ist öffentliche Sichtbarkeit und Solidarität wichtig. Der Angriff auf einen Nachtclub der LGBT-Szene war kein Zufall. Er ist Ort der Lebenslust, der Freiheit, des Rausches.

Wer genau diese Freiheit verteidigen möchte, muss sich jetzt an die Seite der LGBT-Bewegung stellen. Denn die Freiheit zu lieben ist keine Privatsache, sondern hochpolitisch. Ein gesellschaftliches Klima, das ein Coming Out leicht macht, ist vielleicht das beste Mittel gegen den Hass, den auch religiöse Führer weltweit Menschen einimpfen wollen. Es ist nicht weniger als ein Kulturkampf, der in den USA, aber auch bei uns tobt.

In diesem Kulturkampf hätte ich gerne einen Bundespräsidenten, der nicht schweigt, wenn ein homophober Massenmord passiert. Und eine Bundeskanzlerin, die sich an die Seite der LGBT-Community stellt, wenn deren Menschenwürde angeschossen wird. Beides haben wir nicht. Umso mehr setzen wir auf die Solidarität aus der Zivilgesellschaft. Auf diejenigen, die finden, dass Liebe Freiheit bedeutet – egal, wer wen liebt.