Gewollter Absturz von Flug U49525

"Ein Gefühl der Macht"

Stand: 26.03.2015, 19:00 Uhr

Der Co-Pilot der Germanwings-Maschine soll das Flugzeug mit 149 Menschen an Bord absichtlich zum Absturz gebracht haben. Dr. Wolfgang Schwachula, Chefarzt der Psychiatrie der LVR-Klinik Langenfeld, ordnet das Unfassbare für uns ein.

Aktuelle Stunde: Was bringt einen Menschen dazu, ein Flugzeug absichtlich abstürzen zu lassen und 149 Menschen mit sich in den Tod zu reißen?

Dr. Wolfgang Schwachula: Den Kern zu ergründen, warum sich jemand umbringt und andere Menschen mitnimmt, ist ganz schwierig. Oft leiden die Menschen an Depressionen. Dabei können lebensgeschichtlich frühe Erfahrungen, aber auch Dinge, die im aktuellen Leben eine Rolle spielen wie beispielsweise Kränkungen oder Zurückweisungen, eine Rolle spielen. Solche erweiterten Suizide finden üblicherweise im Nahbereich innerhalb der Familie statt. Es gibt auch Situationen, dass Menschen am Ende ihres Lebens noch einmal versuchen, so etwas wie Einfluss, ein Machtgefühl oder eine letzte Kompetenz zu zeigen.

Aktuelle Stunde: Handelt es sich bei einem solchen erweiterten Suizid um einen Kurzschluss oder ist so eine Tat von langer Hand geplant?

Dr. Wolfgang Schwachula: Als ganz spontane Kurzschlusshandlung ist so etwas eher unwahrscheinlich. Wie lange die Planung dauert, lässt sich nicht pauschal sagen. Das kann lange vorüberlegt sein oder sich innerhalb weniger Minuten ausbauen. Oft gibt es aber so etwas wie eine Spontaneität in wenigen Minuten.

Aktuelle Stunde: Wie kann der Copilot sich zu Flugbeginn noch ganz normal mit seinem Kollegen unterhalten – und dann so entschlossen das Flugzeug abstürzen lassen?

Dr. Wolfgang Schwachula: Es gibt viele Menschen mit schweren Depressionen, die ihre Krankheit nicht nach Außen zeigen bzw. denen man ihre Depression nicht anmerkt. Sie versuchen sehr lange, nach Außen zu funktionieren. Bei ihnen ist das eigene Drama, das Gefühl der Minderwertigkeit, sehr versteckt, im Kern aber trotzdem da.

Aktuelle Stunde: Gibt es Warnsignale, die auf eine solche Tat hinweisen? Hätte man bei einer psychologischen Untersuchung etwas bemerken können?

Dr. Wolfgang Schwachula: Warnsignale kann man nur wahrnehmen, wenn man einen Menschen längere Zeit kennt, wenn man Veränderungen beobachten kann. Wenn der Betroffene das aber nicht nach Außen trägt, kann man kaum etwas feststellen.

Aktuelle Stunde: Gibt es psychologische Untersuchungen, die so eine Depression erkennbar machen?

Helfer neben Wrackteilen nach dem Absturz einer Maschine vom Typ Airbus A320 der Fluggesellschaft Germanwings bei Seyne in den Bergen der Provence

Helfer am Absturzort in den französischen Alpen

Dr. Wolfgang Schwachula: Man kann sicherlich durch eine regelmäßige Befragung, durch ein Interview oder durch ein offenes Gespräch feststellen, ob es Veränderungen bei einem Menschen gibt. Aber das hängt sehr an der Ehrlichkeit des befragten Menschen, also daran, ob er auch erzählt, dass er sich depressiv fühlt, Ängste hat oder keine Lust an speziellen Dingen. Eine 100-prozentige Prognose kann man aber sicherlich nicht abgeben.

Aktuelle Stunde: Was denkt so ein Täter über die Opfer?

Dr. Wolfgang Schwachula: Dabei geht es um das Machtgefühl, es geht darum zu sagen: Ich bin jetzt derjenige, der über Leben und Tod bestimmt. Ich glaube schon, dass ein Pilot, der tagtäglich Verantwortung für viele Menschen trägt, an die Menschen denkt, die er an Bord hat. Aber in dem Moment ist die Sicht wohl eher egozentrisch. Das Einfühlungsvermögen für andere Menschen und Beteiligte ist in diesem Augenblick deutlich heruntergefahren.

Aktuelle Stunde: Nach den heutigen Erkenntnissen wurde aus einem tragischen Unfall eine Straftat. Wie wirkt sich diese Wende auf die Angehörigen der Opfer aus?

Dr. Wolfgang Schwachula: Ein Unglück ist ein Zufall, das kann man zwar nicht verstehen, aber akzeptieren. Aber zu akzeptieren, dass ein Mensch, einfach so, aus einer plötzlichen, psychischen Krise heraus, andere in den Tod reißt, ist sicherlich für Angehörige eine extrem schwierige Situation. Gerade diese Kombination, jemanden zu verlieren und dann noch eben die Sinnlosigkeit des Ganzen zu akzeptieren, ist schwer.