Das Leiden der Bio-Hühner

Alles Bio - oder was?

Stand: 29.08.2015, 15:30 Uhr

Bio-Eier sind mit fast zehn Prozent Marktanteil das erfolgreichste Produkt aus ökologischer Erzeugung. Für Bio zahlen wir gerne ein bisschen mehr. Doch die "0" auf dem Ei für Bio hält nicht immer, was sie verspricht.

Am Anfang ist das Küken – und schon gibt es den ersten Widerspruch zu Bio: Weil nur weibliche Tiere Eier legen, ist "männlich" in der Eierproduktion ein Synonym für nutzlos. Für rund 50 Millionen Küken jährlich ist das ein sicheres Todesurteil. Sie werden in Deutschland vergast oder geschreddert, auch im Vorfeld der Bioproduktion. Dabei gibt es Alternativen. Dazu zählen zum Beispiel Rassen, bei denen sich die Hennen für die Eierproduktion und die Hähne für die Mast eignen. Doch die werden noch nicht flächendeckend gezüchtet, man sei noch in der Erprobungsphase, so die Landesvereinigung Ökologischer Landbau NRW. Das Land wollte das Kükentöten bereits verbieten lassen, scheiterte aber bislang vor Gericht. Doch Verbraucher haben eine Wahl: Auch Eier von Betrieben, die männliche Küken verschonen, sind vereinzelt auf dem Markt – erkennbar am Hinweis "Bruderhahn".

Sechs Hennen pro Quadratmeter

Und die Küken, die es in einen Bio-Betrieb schaffen? Ist ihnen ein gesundes Leben sicher? Laut EU-Rechtsvorschriften für Öko-Landbau dürfen in Bioställen nicht mehr als sechs Legehennen pro Quadratmeter und nicht mehr als 3.000 Tiere in einer Gruppe gehalten werden. Doch das garantiere längst kein artgerechtes Leben, sagen Kritiker wie Dr. Edmund Haferbeck von der Tierrechtsorganisation PETA. Gestörtes Verhalten sei auch bei Bio-Hennen an der Tagesordnung. "Die Tiere reißen sich das Gefieder aus und picken sich blutig. Teilweise haben Sie nackte Bio-Hennen vor sich. Außerdem besteht oft eine enorme Enge. Deswegen ist diese Hackordnung erheblich ausgeprägt und deswegen leiden die Tiere auch erheblich."

Dass sich Bio-Hennen häufig bepicken, bestätigt uns auch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW. Hennen neigen dazu, sich gegenseitig zu verletzen, wenn sie sich beengt fühlen, dabei ist für Platz und Auslauf in der Biohaltung eigentlich gesorgt. So wie bei Heinrich Hannen. Er hält knapp 300 Bio-Legehennen, doch er weiß, dass längst nicht alle in seiner Branche ihren Tieren optimale Lebensbedingungen bieten: "Das Problem entsteht, wenn die Bestände zu groß werden. Meiner Meinung nach sind Hühnerbestände bis zu maximal 6.000 Tiere in Ordnung. Wenn es darüber hinausgeht, wird es problematisch."

Bis zu 50.000 Tier unter einem Dach

Tatsächlich gibt es deutsche Bio-Betriebe, die bis zu 50.000 Tiere unter einem Dach halten, ganz nach Vorschrift in Gruppen von je 3.000 Hennen. Doch getrennt sind sie oft nur durch einen Sichtschutz. Das bedeutet Stress für die Tiere und auch das Infektionsrisiko ist groß. Dennoch ist diese Haltung völlig rechtens. Außerhalb des Stalls stehen jeder Bio-Henne vier Quadratmeter zu. Doch wie der Außenbereich zugeschnitten ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Ideal wäre ein breiter Auslauf, denn Hühner wagen sich ungern weit aus dem geschützten Bereich. Einige Betriebe nutzen die Gesetzeslücke jedoch aus und gestalten den Auslauf schmal und lang. Die Folge: Die Tiere drängen sich am Eingang. Laut Foodwatch erhöht das den sozialen Stress, was wiederum auch die Neigung zum Bepicken befördert.

Der Vorteil für die Halter: Hühner, die sich wenig bewegen, stecken mehr Energie ins Eierlegen. Die EU-Bio-Vorgaben bieten viel Interpretationsspielraum – im schlechtesten Fall zahlen die Tiere dafür den Preis. Doch müsste das nicht auffallen? Die Einhaltung der EU-Richtlinien wird von privaten Kontrollstellen überwacht, die Gesundheit der Tiere von den Kreis-Veterinärämtern. Sie müssen allerdings nur einmal pro Jahr kontrollieren. Ob sie öfter kommen, entscheiden sie individuell.

Tierschützer fordern häufigere Kontrollen

Doch nur, wer Verhaltensstörungen wie das Bepicken frühzeitig erkennt, kann gegensteuern. So warnt die Landesvereinigung Ökologischer Landbau NRW: "Ist Kannibalismus erst einmal in einer Herde aufgetreten, so ist es sehr schwierig, diese Verhaltensstörung wieder in den Griff zu bekommen." Häufigere Kontrollen könnten viele Bio-Hennen retten, sagen Tierschützer. Stattdessen werden schwer verletzte Tiere bislang in der Regel getötet.

Geschredderte Küken, Schlupflöcher in den EU-Richtlinien, uneinheitliche Gesundheitskontrollen – auch das ist Bio. Zwar gibt es Initiativen des Landes und der Bioverbände, die Lebensumstände der Tiere zu verbessern, doch bis dahin gilt: Die "0" auf dem Ei ist offenbar keine Garantie für ein artgerechtes Bio-Hennen-Leben.