Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik der Universität Münster, vor einem Bücherregal

Kalisch-Nachfolger Khorchide über seine Pläne

"Ich lehre einen humanistischen Islam"

Stand: 19.07.2010, 00:00 Uhr

Die Ausbildung staatlich geprüfter Islamlehrer in NRW ist gesichert: Die Uni Münster hat Mouhanad Khorchide als zuständigen Professor berufen. Im Gespräch mit WDR.de sagt er, was er anders machen will als sein umstrittener Vorgänger Sven Kalisch.

Die Entscheidung hatte der Senat der Uni Münster bereits am 28. April gefällt, am Montag (19.07.2010) wurde sie offiziell bekannt gegeben: Mouhanad Khorchide ist ordentlicher Professor des neu geschaffenen Lehrstuhls für Islamische Religionspädagogik. Der Koordinierungsrat der Muslime (KRM) hatte am Freitag (16.07.2010) der Ernennung schriftlich zugestimmt. Khorchide hatte den Lehrstuhl bereits Mitte April vertretungsweise übernommen. Damit ist der Wechsel bei der Ausbildung islamischer Religionslehrer vollzogen: Khorchide übernimmt nun diese Aufgabe von Professor Sven Kalisch. Dieser hatte 2008 durch seine Zweifel an der historischen Existenz des Propheten Mohammed den Unmut der Islamverbände erregt. Die Uni Münster zog Kalisch darauf hin aus der Islamlehrer-Ausbildung zurück.

Mouhanad Khorchide wurde 1971 in Beirut geboren. Er studierte im Libanon Islamwissenschaften sowie Islamische Theologie und in Österreich Soziologie. Khorchide lehrte anschließend an der Uni Wien. 2008 promovierte er dort mit einer Studie über die weltanschaulichen Einstellungen islamischer Religionslehrer an öffentlichen Schulen.

WDR.de: Ihr Vorgänger Kalisch ist bei den islamischen Verbänden in Ungnade gefallen. Wie wollen Sie verhindern, dass Ihnen das Gleiche passiert?

Mouhanad Khorchide: Professor Kalisch hat bezweifelt, dass der Prophet Mohammed gelebt hat. Das verstößt nicht nur gegen einen zentralen Grundsatz des Islams, sondern ist auch eine Minderheitenposition in der Wissenschaft. Im Unterschied dazu gehe ich - als gläubiger Muslim und als Wissenschaftler - von der historischen Existenz Mohammeds aus. Mir ist es wichtig, dass die universitäre Lehre mit den islamischen Glaubensgrundsätzen übereinstimmt. Solche Grundsätze gehören - wie bei jeder Religion - zum statischen Kern, der unverrückbar ist.

Daneben hat der Islam aber auch dynamische Aspekte, die mit dem jeweiligen gesellschaftlichen Alltag in Beziehung stehen. Wir leben in Europa und haben damit andere Rahmenbedingungen als in arabischen Ländern oder in der Türkei. Deshalb strebe ich eine Interpretation des Islams an, die in Harmonie steht mit einer modernen, pluralen Gesellschaft. Es ist mir wichtig, dass sich der Islam mit der europäischen Identität der muslimischen Schüler im Einklang befindet.

WDR.de: Mit dieser Auffassung haben Sie genügend Rückhalt bei den Verbänden?

Khorchide: In meinen Gesprächen mit den Verbänden wurde mir klar gesagt, dass sie mit meiner Person einverstanden sind. Die Verbände erwarten, dass die Lehre mit den Grundsätzen des Islams übereinstimmt. Solange das der Fall ist, gehe ich davon aus, dass es keine Probleme gibt. Auf der anderen Seite müssen auch die Verbände akzeptieren, dass es die Freiheit von Lehre und Forschung gibt.

WDR.de: Welche Inhalte wollen Sie den Studierenden konkret vermitteln?

Khorchide: Zum einen geht es um theologische Inhalte. Wobei ich die Studierenden befähigen will, traditionelle islamische Theologie kritisch zu reflektieren und nicht alles unkritisch zu übernehmen. Zum anderen vermittele ich religionspädagogische Inhalte. Dabei ist es mir wichtig, dass sich die Studierenden nicht als Prediger, sondern als Religionspädagogen definieren. Ausgangspunkt des islamischen Religionsunterrichts sollen nicht Dogmen, sondern die Schüler mit ihren Bedürfnissen sein. Es geht darum, die Religion mit der Lebenswirklichkeit der Schüler zu verbinden. Ich will meinen Studierenden den Islam im europäischen Kontext vermitteln.

WDR.de: Welches Islamverständnis lehren Sie?

Khorchide: Meine Studierenden sollen den Islam nicht als Gesetzesreligion verstehen. Es geht nicht um Restriktionen, also nicht um die Vermittlung von Erlaubtem und Verbotenem. Im Islam geht es vielmehr um den Menschen und sein Wohl. Ich bezeichne meine Lehre daher als humanistische Auslegung des Islam. Es geht darum, die Liebe Gottes zu erfahren und sie im Umgang mit seinen Mitmenschen auszudrücken. Der Islam bietet einen Weg zu einem schönen, aufrichtigen und verantwortungsvollen Leben im Diesseits. Aber dieser Weg ist nur einer unter vielen. Er ist nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere Wege anderer Weltanschauungen.

WDR.de: Die von Ihnen ausgebildeten Lehrer sollen später an öffentlichen Schulen islamischen Religionsunterricht erteilen. Soll damit der Einfluss der Moscheen auf die Kinder begrenzt werden?

Schülerin im Unterricht

"An die Lebenswirklichkeit anknüpfen"

Khorchide: Der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen sehe ich nicht als Ersatz für den Religionsunterricht in Moscheen - sondern als Ergänzung. Beide Unterrichtsformen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Empirische Studien zeigen, dass Schüler, die islamischen Religionsunterricht in der Schule haben, zu einem Großteil auch Unterricht in der Moschee besuchen.

Da der Religionsunterricht an Schulen jedoch eine stärkere pädagogische Basis hat als in den Moscheen, ist eine enge Kooperation mit den Moschee-Gemeinden notwendig. Sie müssen mit ins Boot geholt werden, um den Islamunterricht dort professioneller zu gestalten. Man muss gemeinsam die Unterrichtsinhalte reflektieren, damit keine Widersprüche entstehen. Sonst verliert die Religion insgesamt ihre Glaubwürdigkeit bei den Kindern. Man muss sich darum mit den Imamen an einen Tisch setzen und zu einem Konsens kommen.

WDR.de: Sie haben in Ihrer Doktorarbeit den islamischen Religionsunterricht in Österreich untersucht, der dort bereits 1982 an den Schulen eingeführt wurde. Was kann Deutschland von Österreich lernen?

Khorchide: In Österreich hat man den Religionsunterricht eingeführt, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Anforderungen an islamische Religionslehrer gestellt werden. Erst 1998 wurde dort eine staatliche Ausbildungsstätte eingerichtet. Das hat dazu geführt, dass in Österreich teilweise noch immer unqualifizierte und sogar demokratiefeindliche Imame an Schulen tätig sind. Deshalb ist es richtig, in Deutschland nichts zu überstürzen. Bevor man den islamischen Religionsunterricht an Schulen flächendeckend einführt, müssen genügend Lehrkräfte mit entsprechenden Qualifikationen vorhanden sein.

Ein zweiter Aspekt: In Österreich unterrichten die Lehrkräfte für islamischen Religionsunterricht keine anderen Fächer. Die Religionsstunde findet erst am Nachmittag statt, wenn der normale Schulbetrieb bereits zu Ende ist. Folglich sind die islamischen Religionslehrer in Österreich weder in den Schulalltag noch ins jeweilige Lehrerkollegium eingebunden. Deshalb ist es wichtig, dass in Deutschland islamische Religionslehrer auch in anderen Fächern wie Geschichte, Sport oder Englisch ausgebildet werden. Das ist an der Universität Münster bereits so. Auch bei der Anstellung ist auf eine Fächerkombination zu achten. Damit haben die islamischen Religionslehrer ihren fixen Platz im Lehrerzimmer und können sich mit den anderen Lehrkräften austauschen. So entsteht Transparenz. Auch für die Schüler ist es wichtig, dass sie den islamischen Religionsunterricht wie jeden anderen Unterricht wahrnehmen - integriert in den Lehrplan.

WDR.de: Bei der Ausbildung christlicher Religionslehrer können die Kirchen über die Berufung von Professoren und über die Inhalte der Studiengänge mitentscheiden. Die Islam-Verbände haben dieses Mitspracherecht bisher nicht. Sollte sich das aus Ihrer Sicht ändern?

Khorchide: Langfristig müssen die Muslime in Deutschland den christlichen Glaubensgemeinschaften gleichgestellt werden. Schließlich hat zuletzt auch der Wissenschaftsrat erneut auf das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungs- und Mitwirkungsrecht der Religionsgemeinschaften hingewiesen. Es geht, anders ausgedrückt, um einen Dialog auf Augenhöhe. Manche Verbände verlangen allerdings teilweise mehr Mitspracherechte, als sie den christlichen Kirchen zustehen. Wie das im Detail aussehen soll, welche und wie viele Verbände die Muslime in Deutschland repräsentativ vertreten sollen: Das sind alles politische Fragen, die noch offen sind.

Das Interview führte Dominik Reinle