MONITOR Nr. 672 vom 05.02.2015

Undankbare Faulenzer? Die Debatte über Griechenland – und die Fakten

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Bericht: Stephan Stuchlik, Kim Otto

Undankbare Faulenzer? Die Debatte über Griechenland – und die Fakten

Monitor 05.02.2015 04:52 Min. Verfügbar bis 05.02.2099 Das Erste

Georg Restle: „Guten Abend und willkommen bei MONITOR! Na, wenn das mal gut geht mit den Griechen. Wir haben es ja gerade gehört vom deutschen Finanzminister. Der Ton scheint heute zwar freundlich gewesen zu sein, in der Sache aber sind die Fronten zwischen deutscher und griechischer Regierung nach wie vor steinhart. Hier die Spardiktatoren aus Berlin, da die reformfaulen Vertragsbrecher aus Athen. Da ist eine ganze Menge Rauch aufgestiegen in den letzten Tagen. Nur, stimmt das überhaupt alles, was der neuen griechischen Regierung da so alles um die Ohren gehauen wurde? Ein Realitätscheck von Stephan Stuchlik und Kim Otto.“

Alexis Tsipras. Der neue Held in Griechenland. Der neue Schrecken Europas.

„Griechen wählen Euroschreck“ - „Der Unberechenbare?“ - Regierung der Anfänger?“ - „Der Geisterfahrer?“

Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung: „Die deutsche Politik neigt dazu, im Falle Griechenlands mit Vorurteilen und Ressentiments zu arbeiten.“

Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Deshalb muss man hier eine sehr viel rationalere Debatte führen, wo wir genau hinschauen müssen.“

Die erste Gewissheit: Die Griechen zahlen keine Steuern.

Markus Söder, Finanzminster Bayern: „Wir können nicht deutsche Steuerbehörden da nach Griechenland schicken, die dann die Steuern für die griechische Regierung einnehmen. Das müssen die Griechen schon selber machen.“

Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister, 27.01.2015: „Im Übrigen habe ich Griechenland für den Aufbau einer leistungsfähigen Steuerverwaltung sehr viel Hilfe angeboten. Griechenland hat davon wenig Gebrauch gemacht.“

Erstaunlich: Ein internes Papier des Finanzministeriums - Schäubles eigener Behörde - lobt noch Mitte Januar Griechenlands Steuerpolitik. Das Land habe die Bemessungsgrundlage verbreitert, die Vorschriften modernisiert und große Fortschritte bei der Schaffung einer Finanzverwaltung gemacht. Und das macht sich hier im griechischen Finanzministerium bemerkbar. Der international gültige OECD-Standard bemisst die Staatseinnahmen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Und hier liegt Griechenland die letzten drei Jahren konstant vor Deutschland.

Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser der Bundesregierung: „Es trifft zu, dass Griechenland Schwierigkeiten hat bei Gewinnsteuern, da sind die Einnahmen relativ niedrig. Aber insgesamt gesehen, liegen die griechischen Steuereinnahmen und Staatseinnahmen, wenn man sie auf die Wirtschaftsleistung bezieht, deutlich höher als in vielen Ländern Europas. Sie liegen etwa auf dem Durchschnitts des Euro-Raumes und sie sind sogar höher als in Deutschland.“

Die nächste Behauptung: Griechenland hat eine aufgeblähte Verwaltung. „Beamte raus“, fordern die einen „Athen weigert sich beharrlich, Beamte zu entlassen“, bemängeln die andern. Richtig ist laut Statistik der OECD: Griechenland hat mehr öffentliche Bedienstete als Deutschland. Aber deutlich weniger, als so solide Länder wie Dänemark, Schweden oder Luxemburg.

Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung: „Wenn man sich den öffentlichen Sektor in Griechenland anschaut, so muss man festhalten, dass er in den letzten Jahren nahezu halbiert worden ist. Wenn wir das mit der Entwicklung in Deutschland vergleichen, wo wir auch laufend Kürzungen im öffentlichen Dienst haben, so haben wir trotzdem über Jahrzehnte hinweg nicht annähernd diesen dramatischen Abbau gehabt.“

Aufregung in Europa. Der neue Mann in Griechenland will 9.000 Beamte wieder einstellen. Will er das Rad zurückdrehen? Die Fakten: Es sind vor allem die Beamte, die ohne Rechtsgrundlage vor die Tür gesetzt wurden. 9.000 von insgesamt 220.000, die in den letzten Jahren entlassen wurden.

Der lauteste Vorwurf aber, die Griechen haben zu wenig Reformen gemacht.

Volker Kauder (CDU), Fraktionsvorsitzender Bundestag, 01.02.2015: „Es geht darum, ob die Strukturen stimmen. Und in Griechenland stimmen die Strukturen nicht.“

Elmar Brok (CDU), Europaabgeordneter, 26.01.2015: „Die strukturellen Reformen, um den Staat fit zu machen, die Wirtschaft fit zu machen und dadurch höheres Wachstum zu generieren, all dieses ist ja nicht im ausreichenden Umfang bisher passiert.“

Zu wenig passiert? Im internationalen Vergleichsranking der OECD über Reformfortschritte steht Griechenland deutlich besser da als die anderen Krisenstaaten wie Spanien, Italien und Portugal. Und überhaupt, will die neue griechische Regierung das zurücknehmen, wie es der deutsche Finanzminister eben noch im ARD-Interview nahelegte?

Wolfgang Schäuble, Bundesfinanzminister: „Sie können sich nicht einseitig von dem verabschieden, was bei großer Skepsis der Öffentlichkeit in vielen europäischen Ländern in den letzten Jahren verabredet worden ist.“

Was stimmt: Die sozialen Härten der Reformen will die neue Regierung tatsächlich abfedern. Doch das empfiehlt sogar der Internationale Währungsfonds, ein Teil der Troika, in seiner Reformbilanz. Und den restlichen Reformkurs will auch die neue Regierung beibehalten.

Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Das neue Programm der griechischen Regierung ist eigentlich ein gutes Programm. Es hat viele richtige Reformen, die die vorherigen Reformen fortsetzen und zum Teil noch beschleunigen.“

Die Argumente also, mit denen der neue griechische Finanzminister heute in Berlin erschien, sind vielleicht gar nicht so schlecht. Auf allzu viel Verständnis ist er damit bei seinem deutschen Kollegen heute allerdings nicht gestoßen.

Georg Restle: „Vielleicht sollten einige deutsche Politiker den Mund nicht ganz so voll nehmen bei ihrer Kritik an Griechenland geht. Zum Beispiel, wenn es um Kumpanei zwischen Politik und Großindustrie geht zulasten des Steuerzahlers. So was soll ja auch bei uns vorkommen.“

Stand: 05.02.2015, 14:57 Uhr

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